Wo sich hier doch alles um Science Fiction dreht, möchte ich Euch heute eine Definition vorstellen.

Eine erste Annäherung

Wenn wir an Science Fiction denken, denken wohl die meisten von uns relativ schnell an Raumschiffe und den Weltraum, was ja auch bei vielen Science-Fiction-Erzählungen (ich verwende den Begriff Erzählung hier im medienübergreifenden Sinn) wie etwa „Star Trek“ oder „Starship Troopers“ durchaus richtig ist. Hinzunehmen müssen wir dann natürlich noch das Element Zukunft, da sonst auch Filme wie „Apollo 13“ zur Science Fiction zählen würden. Somit würden wir eine Geschichte also als Science Fiction bezeichnen, wenn sie im Weltraum spielt, Raumschiffe beinhaltet und zeitlich in der Zukunft angesiedelt ist.

Leider kommen wir mit dieser groben Definition keinen Schritt weiter, da Mary Shelleys „Frankenstein“ allgemein als eines der ersten Science-Fiction-Bücher betrachtet wird. Und bekanntlich spielt „Frankenstein“ weder im Weltraum, noch hat die Erzählung etwas mit Raumschiffen oder der Zukunft zu tun. Was jetzt?

Problemfeld „Science Fiction“

Tatsächlich ist derart umstritten, was es eigentlich ist, dass es schlichtweg keine allgemein anerkannte Definition gibt. Die Wissenschaftler John Clute und Peter Nicholls haben sich 1993 die Mühe gemacht, in einem Aufsatz die ihrer Meinung nach 21 wichtigsten Vorschläge zu sammeln. 1980 hatte schon Hans Joachim Alpers, sieben Definitionen behandelt, nur um dann zum Ergebnis zu kommen, dass man nicht so genau sagen könne, was konkret darunter zu verstehen sei. (Ähnlich verhält es sich übrigens bei Versuchen, Begriffe wie Fantasy oder Phantastik zu definieren.) Daher gehen heute viele von fließenden Genregrenzen aus und verzichten auf eine exakte Bestimmung.

Wenn ich Euch hier im Folgenden vorstellen möchte, was ich in meinen Forschungsprojekten als Definition für Science Fiction verwende, möchte ich damit keineswegs ausschließen, dass auch viele andere Definitionen richtig sein können. Es handelt sich also um EINE von mehreren möglichen Definitionen – so ist auch die Überschrift dieses Beitrags zu verstehen –, die sich für mich persönlich bei meinen Projekten als ziemlich praktisch erwiesen hat.

Frank Weinreichs Definition

Meine Arbeitsdefinition stammt ursprünglich von meinem Kollegen Frank Weinreich, der sehr viel zu Science Fiction und zur Fantasy gearbeitet hat. Die beiden zählen ebenso wie Teile des Horror-Genres zur Phantastik, zu der Weinreich alle Geschichten zählt, die von etwas Unmöglichem handeln und dabei keinen Anspruch auf Wahrheit erheben. (Andernfalls müsste man ja auch die Bibel, den Koran etc. als phantastische Literatur betrachten.)

Ein typisches unmögliches Element der Fantasy ist z.B. die Magie, während ich aus dem Horror-Genre z.B. Werwölfe, Vampire oder Zombies nennen könnte. Echte Magie – also nicht etwas, was man aus Unwissenheit für Magie hält – kann es genauso wenig geben wie untote Blutsauger. Im Unterschied dazu handelt die Science Fiction laut Weinreich von Dingen, die zum Zeitpunkt des Verfassens der Erzählung NOCH unmöglich sind, grundsätzlich aber möglich erscheinen und theoretisch durch technischen Fortschritt durchaus einmal Wirklichkeit werden könnten wie z.B. das Reisen bei Lichtgeschwindigkeit oder Zeitreisen, um mal zwei Radikalbeispiele zu nennen. Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ oder „Von der Erde zum Mond“ wären Beispiele, die bereits zur Realität wurden.

Was ist dann mit Star Wars?

„Star Wars“ wäre nach Weinreich keine Science Fiction, da die übernatürliche Macht der Magie der Fantasy entspricht, also etwas darstellt, was es nicht geben kann, auch wenn in den Episoden I-III versucht wird, die Macht rational zu erklären. Daher ist „Star Wars“ eher als Weltraumfantasy, als Space Opera oder als Märchen zu bezeichnen, wozu ja dann auch der schwarze Ritter (Darth Vader) und die Prinzessinnen passen (Amidala, Leia). „Star Wars“ nicht zur Science Fiction zu zählen ist übrigens alles andere als unüblich und beschränkt sich nicht auf Weinreichs Definition. „Star Trek“ hingegen ist in der Regel ein klassischer Fall und zeichnet sich dadurch aus, scheinbar übernatürliches technisch-naturwissenschaftlich zu erklären. (In DS9 gab es da gewisse Ausnahmen.)

Lukian von Samosata – Der erste Science-Fiction-Autor der Weltgeschichte?

Wesentlich umstrittener als „Star Wars“ ist der Autor Lukian von Samosata, der im 2. Jahrhundert nach Christus im östlichen Teil des Römischen Reiches lebte. Denn in seinen „Wahren Geschichten“ beschreibt Lukian eine Weltraumreise, außerirdische Völker, die einander in Raumschlachten bekriegen und Kolonien gründen sowie Entführungen von Menschen durch Außerirdische. Also ganz klar Science Fiction. Oder etwa nicht?

Obwohl Lukian zahlreiche Elemente verwendet, die wir heute als typisch bezeichnen, war es seine Intention, eine möglichst abstruse Satire zu schreiben, die sich über Leute lustig macht, die jeden Blödsinn glaubten, den sie in zeitgenössischen Reiseberichten lasen. Und wie hätte man in der Antike phantastische Reiseberichte besser noch einmal überspitzen können als durch eine Weltraumreise? Von der Intention des Autors her ist es also streng genommen keine Science Fiction, da Lukian eigentlich etwas völlig Abstruses schreiben wollte, das dann aber wiederum aus Sicht heutiger Leserinnen und Leser durchaus als Science Fiction oder als eine Science-Fiction-Parodie durchgehen kann. So ist es wohl letztlich treffender, sein Werk als Proto-Science-Fiction o.ä. einzustufen. (Über Lukian sollte ich vielleicht mal einen ausführlichen Artikel schreiben.)

Fazit

Wie ihr seht, ist es gar nicht so leicht, Science Fiction zu definieren. Wenn man sich aber mal so ein bisschen in verschiedene Definitionen und Theorien hineingedacht hat, kann es durchaus interessant sein, seine Lieblingserzählungen anhand einer solchen Definition zu durchdenken wie ich Euch am Beispiel von Frank Weinreichs Überlegungen zu zeigen versucht habe.

Und irgendwie sind Fragen, die sich nicht so eindeutig beantworten lassen, letztlich ja doch oft die spannendsten.

 

 


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Michael Kleu
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