The H Word bedeute die Wiederkehr eines alten, bekannten Feindes mit einem neuen Gesicht.
Ein ungewöhnliches Team als Vorlage
Zuletzt schwächelten die Marvel-Serien, die ursprünglich auf Netflix liefen. Luke Cage erholte sich nicht von dem Tod des ersten Antagonisten, derweil Iron Fist von Anfang bis Ende eine mittlere Katastrophe war. Trotzdem wurde hinter den Kulissen weitergearbeitet. Denn genau wie Avengers, welches ja der inoffizielle Startschuss für dieses „Street Hero“-Serienuniversum war, sollte es auch hier etwas geben, worauf hingearbeitet wurde. Und zwar The Defenders.
In den Comics war dies der Name einer Gruppe von Helden, die sich explizit nicht als Team verstanden. Es war ein mehr oder weniger loser Zusammenschluss unterschiedlicher Heroen, die gemeinsam Abenteuer erlebten, aber jetzt nicht so sehr eine Gruppe bildeten, wie es die Avengers oder die X-Men waren. Es gab einen harten Kern, gebildet aus Doctor Strange, dem Silver Surfer, dem Hulk und Prinz Namor, dem Sub-Mariner, um den herum dann verschiedenen andere Helden zusammenkamen, wie beispielsweise Valkyrie oder dem Gargoyle. Aber es fehlte eine gemeinsame, verbindende Identität, wobei das Team trotzdem in den 1970er und 1080er Jahren eine Comicserie erhielt, die über 100 Ausgaben lang lief.
Natürlich war es in der Serienform nicht möglich, auf diese Gruppe zurückzugreifen. Zum Zeitpunkt, als die erste Season von Daredevil gesendet wurde, hatte der Hulk bereits mehrere Leinwandauftritte hinter sich. Die von Doctor Strange und Prinz Namor sollten erst noch folgen, waren jedoch in zumindest grober Planung. Stattdessen wurde bei der Konzeption der Serie beschlossen, einfach nur die Grundidee, die eines losen Zusammenschlusses von Helden, zu nehmen und darauf aufbauend dann andere Charaktere hinzuzufügen.
Die Hand ist zurück
Und so kehrten in der Serie alle Mitglieder des jeweiligen Maincasts von Daredevil, Jessica Jones, Luke Cage und Iron Fist zurück. Als Showrunner wurden die Leute bestimmt, die bereits die zweite Daredevil-Season verantworteten, was angesichts der Qualität von dieser sicherlich keine verkehrte Entscheidung war. Und wie es bei den Netflix-Serien üblich war, gelangt den Machern beim Casting des Gegenspielers wieder ein enormer Coup. Denn niemand Geringeres als Superstar Sigourney Weaver, bekannt aus Galaxy Quest oder den Alien-Filmen, übernahm diesen Part. The H Word, oder wie es auf Netflix hieß Das H-Wort, bildete den Auftakt zu der achtteiligen Miniserie.
Eine ältere Frau erfährt, dass sie nur noch wenige Wochen bis Monate zu leben hat, ehe ihre Organe versagen. Sie trifft sich im Park mit Madame Gao und gibt ihr Anweisungen, etwas vorzuziehen. Bald darauf beobachtet sie, wie ein starkes Erdbeben sich durch New York bewegt.
Parallel dazu erfahren Danny Rand und Colleen Wing, dass die Hand wieder in New York aktiv ist. Matt Murdock hat seinem Leben als Daredevil abgeschworen und arbeitet als Pro Bono-Anwalt, muss allerdings immer wieder gegen das Verlangen ankämpfen, erneut in sein Kostüm zu schlüpfen. Luke Cage wird aus dem Gefängnis entlassen, nachdem Foggy Nelson seine Unschuld bewiesen hat. In Harlem erfährt er, dass einer der örtlichen Kinder in ein mysteriöses Geschäft verwickelt sind. Und Jessica Jones versucht weiterhin, Leute auf Abstand zu halten. Bis sie von einer Frau informiert wird, dass ihr Ehemann vermisst wird und sie bei der Recherche von einem anonymen Anrufer bedroht wird.
Zusammengewürfelt? Vielleicht. Schlecht? Nein.
Zugegeben, die Inhaltsangabe von The H Word klingt mehr nach einem zusammengewürfelten Ensemble an unterschiedlichen Plots, die sich vermutlich gegenseitig das Wasser abgraben. Doch wenn man sich die Episode angeschaut hat, dann stößt man auf eine außergewöhnlich inszenierte Folge. Eine, bei der man das Gefühl hat, dass der Anfang bewusst so zerstückelt geplant wurde, aber auch eine, bei der die mysteriöse Frau bald eine gewisse Bedeutung haben wird.
Dabei muss die Episode sowohl die Zuschauer der Vorgängerserien abholen, in dem sie ihnen zeigt, was mit den jeweiligen Figuren geschehen ist. Aber gleichzeitig auch die Saat legen, für das, was einen die insgesamt acht Folgen unterhalten wird. Und das funktioniert erstaunlicherweise gut.
The H Word funktioniert auch deshalb, weil die jeweiligen Plots visuell klar zu unterscheiden sind. Es ist ebenfalls eine clevere Idee, dass, wenn man den Vorspann sich ansieht, merkt, dass jede Figur eine bestimmte Farbe zugewiesen worden ist. Daredevil hat beispielsweise die Farbe Rot, derweil Jessica Jones Blau erhält. Und diese Farben erkennt man auch in den jeweiligen Szenen wieder, weil sie sich wie eine leichte Patina über das Bild legt, ohne zu stören.
Was ist seit dem letzten Mal passiert?
Wobei das Wichtigste an dieser Folge vor allem ist, zu erfahren, wie es den entsprechenden Charaktere ergangen ist. Und das ist durchaus interessant, weil mehr oder weniger viel geschehen ist. Das Matt Murdock seiner alternativen Identität abgeschworen hat, ist nach der Katastrophe, die die zweite Staffel für sein Privatleben bedeutete, nachvollziehbar. Luke Cage kommt aus dem Gefängnis frei, wobei er seit dem Ende seiner Serie dort nicht viel erlebt zu haben scheint.
Interessant sind ebenso die Erlebnisse von Jessica Jones und Danny Rand in The H Word. Bei der Privatdetektivin hat man den Eindruck, dass sich in ihrem Leben nichts verändert hat. Aber das auch nur, weil sie anscheinend nichts verändern wollte. Noch immer säuft sie wie ein Specht und lebt noch immer in ihrer vollkommen demolierten Wohnung, derweil sie neue Klienten lieber verscheucht, als sich deren Bedürfnisse anzunehmen. Ist es die Angst vor Veränderung, die sie dazu gebracht hat? Es wird nicht erklärt, aber es wird hoffentlich noch geschehen, denn das ist alles sehr vielversprechend.
Bei Danny Rand muss hingegen Aufbauarbeit geleistet werden, nach seiner katastrophalen ersten Staffel. Sein Plot steht deshalb auch unter besonderer Beobachtung. Und sieht man von einem Moment ab, wo die Dialoge arg klischeehaft sind, gibt es hier gute Ansätze. Er leidet unter Alpträumen, wo ihm die toten Mönche von K’un-Lung vorwerfen, sie nicht beschützt zu haben. Er wirkt im Vergleich zu seiner Serie deutlich ernster und fokussierter, was keine schlechte Idee ist.
Jede Menge Fragen offen
Und dann ist da natürlich Sigourney Weaver. Es ist unglaublich, wie sehr sie jede einzelne Szene dominiert. Man lernt eine Frau mit vielen Facetten kennen. Eine, die in einem einsamen Moment sich verwundbar zeigt. Nur um dann später im Park Madame Gao, bislang dem Gesicht der Hand, einen Befehl zu erteilen und ihr dann eiskalt eine Tüte mit Vogelfutter in die Hand drückt, damit sie die Tauben weiter füttern kann. Und anschließend ist da das Ende, wo sie einen Satz sagt, aus dem hervorgeht, dass sie wohl viele Städte hat untergehen sehen. Wer ist diese Frau? Und was ist ihre Beziehung zur zurückgekehrten Hand und zu Elektra? Das werden hoffentlich die kommenden Folgen klären.
Das Ende von The H Word sorgt ebenfalls dafür, dass man weitergucken wird. Ein Erdbeben, dass sich durch New York bewegt, ist kein alltägliches Phänomen. Anscheinend steht es im Zusammenhang mit der von Sigourney Weaver dargestellten Figur und damit auch der Hand. Was kein gutes Zeichen ist.
Der Auftakt der The Defenders-Serie ist gelungen. So viel Spaß hatte man schon lange nicht mehr an einer der Netflix-Marvel-Streamingserien.
Drehbuch: Douglas Petrie & Marco Ramirez
Showrunner:Marco Ramirez
Regie: S. J. Clarkson
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