Mit The Amazing Spider-Man werden die Kinoabenteuer von Marvels bekannten und beliebten Webhead neu gestartet.

Ein Neustart wird gewagt

Trotz durchwachsener Kritiken war Spider-Man 3 2007 durchaus ein finanzieller Erfolg. Dementsprechend starteten sofort die Arbeiten an einem vierten Teil, der 2011 herauskommen sollte. Doch die Produktion kam nicht so wirklich voran. Vor allem am Drehbuch haperte es, da immer wieder neue Versionen des Skripts geschrieben wurden, die aber alle aus dem einen oder anderen Grund abgelehnt wurden. Am Ende hatte dies als Konsequenz, dass Regisseur Sam Raimi aus dem Projekt ausstieg und am 11. Januar 2010 Columbia Pictures und Marvel beschlossen, die Spider-man Filmreihe neu zu starten. Avi Arad, Matt Tolmach und Laura Ziskin blieben die Produzenten.

Die Suche nach einem Nachfolger Raimis als Regisseur dauerte zum Glück nicht lange. Zwar standen Namen wie Kathryn Bigelow und David Fincher als Filmemacher des Reboots im Raum. Doch am Ende fiel die Wahl auf Marc Webb, der erst ein Jahr zuvor mit (500) Days of Summer sein Regiedebüt gefeiert hatte. Er war zunächst etwas skeptisch, weil er die Präsenz der anderen Filme fühlte. Doch am Ende nahm er die Gelegenheit wahr und beschloss, „The Amazing Spider-Man“ zu drehen.

Was seine Interpretation der Figur anging, so meinte er auf einer Pressekonferenz, dass er nicht versuchen würde, Sam Raimis Arbeit zu kopieren. Das hielt für unmöglich und arrogant. Stattdessen wollte er eine neue Dimension hinzufügen. Ebenso betonte er, dass sein Film kein Remake von Raimis Filmen sei, sondern mehr ein unterschiedliches Universum mit anderen Stimmen und verschiedenen Charakteren.

Konkrete Ideen, um den Film eigenständig wirken zu lassen

Beim Design von The Amazing Spider-Man hatte der Regisseur konkrete Ideen. Er wollte beispielsweise mechanische Webshooter haben und nicht organische, wie in der vorherigen Filmtrilogie. Auch das Aussehen der Echse, des Lizards, dem Hauptantagonisten, sollte distinktiv sein. Er entschied sich für einen Look, die sich mehr an der Version von Steve Ditko, dem allerersten Zeichner des Heldens, orientierte und nicht so sehr an den zeitgenössischen mit der langen Schnauze.

Der Cast setzte sich wie folgt zusammen: Andrew Garfield spielte Peter Parker. Für den Angloamerikaner war dies die erste Hauptrolle in einem großen Film und er trainierte hart für die Rolle. Er bezeichnete sich als Fan der Sam Raimi-Filme und meinte, dass er als Kind die Zeilen von Tobey Maguire im Spiegel aufsagte. Für Gwen Stacy wurde Emma Stone gecastet, die sich erstmal mit der Rolle vertraut machen musste. So war sie davon ausgegangen, dass Mary Jane das erste Love Interest von Peter Parker war. Außerdem färbte sie sich nicht, wie sonst, ihre Haare rot, sondern zeigte ihre natürlich blonde Haarfarbe, passend zur Figur. Der Waliser Rhys Ifans erhielt den Zuschlag für den Antagonisten, für Dr. Curt Connors, der zum Lizard wurde. In der Reptilienform musste er einen CGI-Anzug tragen, etwas, wofür er sich freiwillig entschieden hatte, anstatt das einem Stuntdouble zu überlassen.

In den Nebenrollen konnte man Denis Leary als Gwen Stacys Vater George Stacy sehen, einen Polizisten. Campbell Scott hat einen kleinen Auftritt als Peters Vater Richard Parker, während der Inder Irrfan Khan als Oscorp-Leitung Rajit Ratha. Mit Martin Sheen als Ben Parker gelang The Amazing Spider-Man ein wahrer Casting-Knüller, genauso wie Sally Field als May Parker.

Dies ist kein Sam Raimi-Film!

Als in das Familienhaus der von Richard und Mary Parker eingebrochen wurde, sammelt das Paar schnell wichtige Dokumente zusammen und verlassen es überstürzt. Sie geben ihren Sohn bei Richards Bruder Ben und dessen Frau May ab und verschwinden dann aus dem Leben ihres Sohnes Peter. Der fortan von seinem Onkel und seiner Tante aufgezogen wird.

Jahre später ist aus dem Jungen ein intelligenter Jugendlicher geworden, der heimlich in Gwen Stacy verliebt ist. Eines Tages findet er heraus, dass die Oscorp-Firma die Forschungen seines Vaters besitzt. Er freundet sich mit dem Chefwissenschaftler von Oscordp, Dr. Curt Connors, an und hilft ihm bei dessen Forschungen, bei denen es darum geht, verlorengegangene Gliedmaßen, wie der amputierte rechte Arm des Wissenschaftlers, wieder zu regenerieren. Doch dann kommt es zu verschiedenen Vorfällen. Peter Parker wird von einer genmanipulierten Spinne gebissen und entwickelt außergewöhnliche Fähigkeiten. Derweil Dr. Connors unter Druck gesetzt an sich selber experimentiert und sich in eine menschliche Echse verwandelt, die schon bald anfängt, die Stadt zu terrorisieren.

Von Anfang versucht The Amazing Spider-Man klar zu machen, dass dies nicht der Sam Raimi-Spider-Man ist. Der Film und seine Story sind im Vergleich deutlich dunkler und ernsterer. Es gibt zwar immer noch Humor, wie der geniale Cameoauftritt von Stan Lee, der als Schulbibliothekar bei der Arbeit Musik hört und so nicht mitkriegt, dass Spider-Man und die Echse sich gegenseitig bekämpfen.

Humor ist, wenn man (selten) lacht

Doch überwiegend wird auf aufhellende Komikelemente verzichtet. Es gibt hier keinen exzentrischen J. K. Simmons, der als J Jonah Jameson versucht, Spider-Man als Bedrohung für die Stadt darzustellen. Andrew Garfields Peter Parker hat auch nicht das typische Parker-Glück, dass Tobey Maguire teilweise hatte, wo im Prinzip alles schieflief, was schieflaufen konnte.

Doch nur, weil der Humor nicht so präsent ist, braucht man nicht davon ausgehen, dass The Amazing Spider-Man zu ernst ist, zu düster. Es gibt Momente, wo der Kinofilm durchaus einige heftige Szenen hat. Vor allem im Finale gibt es einen Tod, den man als Comicfan zwar erwartet hat. Der aber einen dann trotzdem nicht kalt lässt.

Stattdessen bemüht sich der Film… „realistischer“ – in Ermangelungen passender Worte gewählt – zu wirken. Jedenfalls, so realistisch wie dies in einem Superheldenfilm mit mutierten Tieren und Menschen möglich ist. Gemeint sind dabei vor allem die zwischenmenschlichen Interaktionen, vor allem zwischen Peter Parker und Gwen Stacy.

Keine Damsel in Distress trifft auf keinen Tollpatsch

Hier macht The Amazing Spider-Man alles richtig. Anstatt, wie es bei Kirsten Dunst in der Sam Raimi-Trilogie der Fall war, sie zu einer Screamqueen und zu einer Damsel in Distress zu machen, ist Emma Stones Gwen Stacy eine selbstbewusste junge Frau, die weiß, was sie will und die Prioritäten setzt. Die Beziehung zwischen den beiden wirkt glaubwürdig, weil es eine auf Augenhöhe ist. Sie muss nicht ständig von ihm beschützt werden, im Gegenteil: Sie ist vor allem im Finale eine unersetzliche Hilfe, ohne die der letzte Akt nicht so ausgehen würde, wie er ausgeht.

Und es ist gut, dass Andrew Garfields Peter Parker nicht diese Tölpelhaftigkeit Tobey Maguires aufweist. Seine Interpretation ist komplett anders, als die seines Vorgängers. Er betont die Intelligenz und Körperlichkeit seiner Figur. Sein Peter ist gerne mal mit dem Skateboard unterwegs und sich nicht zu Schade, im überfluteten Keller seiner Zieheltern mit anzupacken und die Ursache herauszufinden. Gleichzeitig betont der Film allerdings auch das Trauma, dass er mit sich herumschleppt. Das Erbe seiner leiblichen Eltern ist es, was viele seiner Entscheidungen rechtfertigt. Einerseits, weil er herausfinden möchte, wieso sie damals geflohen sind. Aber andererseits, weil er auch wissen möchte, woran sie gearbeitet haben.

Und hier kommt Curt Connors ins Spiel. Es war eine gute Idee von The Amazing Spider-Man, dass er als Antagonist ausgewählt wurde. Denn seine Motivation ist glaubwürdiger als die eines Norman oder Harry Osborns. Er ist quasi Peters Bruder im wissenschaftlichen Geiste, jemand, dessen Intellekt sich durchaus mit von der zivilen Identität Spider-Mans messen kann. Jemand, der unter dem Verlust seines rechten Arms leidet, was auch mit die Motivation ist, wieso er so dahinter her ist, dass das Experiment funktioniert. Dabei wird darauf verzichtet, seine Familie aus den Comics mit in den Film zu bringen. Das war eine gute Entscheidung, weil die vermutlich völlig untergegangen wären und das Drama der Figur auch ohne sie perfekt rübergebracht wird.

Ein Monstrum an Charakter, eine Lächerlichkeit an Aussehen

Als Lizard agiert er wie ein Monstrum, wie etwas, dass nach und nach jegliche Menschlichkeit verliert. Dass die anfänglich unvermeidbare Rückkehr zum Menschsein verachtet und deshalb auch versucht, diese auf immer zu verhindern. Seine Aktionen, die Wildheit, mit der es agiert, kombiniert mit der Intelligenz, die es von Dr. Connors her hat, löst eine wahre Gänsehaut aus. Von der Charakterisierung und dem Agieren her ist dies wirklich ein grandioser Gegenspieler.

Doch das wird leider durch das Design der Figur in The Amazing Spider-Man konterkariert. Vor allem dieses halbmenschliche Gesicht wirkt einfach nur lächerlich und nicht bedrohlich. Weshalb dies auch ein erheblicher Schnitzer des Films ist.

Es ist nicht der einzige Reinfall. Denn auch die Charakterisierung von Captain George Stacy kann nicht überzeugen. Stellenweise wirkt er schon fast wie eine Karikatur, so, wie er immer versucht, seiner Tochter eine Tasse Kakao anzudrehen. Oder wie sehr er Spider-man verachtet und diesen sogar offiziell fahnden und jagen lässt. Das hat fast den Anschein, als ob hier Charakterelemente von JJJ mit der Comicvorlage des Polizisten vermischt wurden. Weshalb auch sein Charakterwechsel im Finale nicht so wirklich Sinn ergibt.

Muss das sein? Tut der Reboot not?

Über jede Zweifel erhaben sind Martin Sheen und Sally Field, die in The Amazing Spider-Man genau die Menge an Fürsorglichkeit ausstrahlen. Vor allem Martin Sheen als Ben Parker kann glänzen. Er gibt den fürsorglichen Ersatzvater, der sich um seinen Ziehsohn sorgt und sich wirklich wünschte, er könnte mehr tun, dass er die richtigen Worte finden könnte, um Peter zu unterstützen. Sein Tod, der natürlich kommen musste, erhält dadurch natürlich eine tragischere Komponente.

Was mich allerdings zu einem anderen Manko bringt. Denn es ist ein mal mehr ein Origin-Film, sprich der Ursprung von Peter Parker und Spider-Man wird neu erzählt. Es macht zwar irgendwo Sinn, um dieses so unterschiedliche Universum zu erklären und mit seinen Charakteren einzuführen. Aber andererseits sind die Eckpunkte der Titelfigur, der Ursprung des Charakters inzwischen Teil der Popkultur geworden. Man wartet nur darauf, dass Ben Parker stirbt, damit Peter erfährt, was große Macht mit sich bringt. Dasselbe gilt auch für den Augenblick, wo Peter von der Spinne gebissen wird und seine besonderen Fähigkeiten entdeckt. Man hatte es schonmal und es nochmal zu wiederholen bringt einen nicht wirklich weiter.

Doch davon abgesehen ist The Amazing Spider-Man über weite Teile ein fantastischer Film. Dass er nicht großartig ist, liegt zum einen an den Mankos, die eben genannt wurden. Sowie einigen anderen Aspekten, die einen zwar das sehvergnügen nicht völlig vermiesen. Aber doch für Abstriche sorgen. Da ist zum einen die Tatsache, dass Peter stellenweise sehr sorgenfrei agiert, was seinen Umgang mit seiner Maske angeht. Es gibt einige Szenen, wo er auf diese bewusst oder unfreiwillig verzichtet. Und dies keine signifikanten Konsequenzen hat.

Kleinere Misstöne

Und dann ist da der finale Akt. Der ist überwiegend großartig, mit einem grandiosen finalen Duell zwischen Spider-Man und dem Lizard, sowie einem weiteren prominenten Toten. Sowie einigen finalen Szenen, die die Beziehung zwischen Peter und Gwen in Frage stellt. Doch ist das Finale sehr dick aufgetragen, mit gefühlt extra viel Pathos. Auf ein Mal unterstützen Teile der Zivilbevölkerung den Superhelden, derweil Captain George Stacy klar wird, dass der von ihm so Gejagte ein Guter ist. Weshalb er ebenfalls mit eingreift. Die lizardifizierten Leute, die zu Beginn des Finales prominent eingeführt werden, spielen dann in diesem letzten Akt enttäuschenderweise keine große Rolle.

Das alles sind jedoch kleinere Aspekte, die einem den Film jetzt nicht völlig vermiesen. Es sind „nur“ kleinere Misstöne, die den Gesamteindruck etwas schmälern. Doch überwiegend ist „The Amazing Spider-Man“ immer noch ein guter Film, der vieles richtig macht. Unter anderem auch eine Fährte setzen für die unweigerliche Fortsetzung. Comicfans wissen nämlich, dass Oscorp seinen Namen von einem gewissen Osborn hat. Und wenn man erfährt, dass der Chef der Firma im Sterben liegt und deshalb unbedingt das Mittel haben will… Green Goblin anyone?

Und so macht der Film insgesamt Spaß. Und das ist es auch, worauf es ankommt.

Drehbuch:James Vanderbilt, Alvin Sargent, Steve Kloves
Hauptdarsteller:
Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans, Denis Leary, Campbell Scott, Irrfan Khan, Martin Sheen, Sally Field
Produzent: Laura Ziskin, Avi Arad, Matt Tolmach
Regie:Marc Webb

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Götz Piesbergen
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