In der ersten Folge von What If …? wird die Frage gestellt Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre?
Was würde geschehen, wenn statt X Y passiert?
Er ist der Watcher (Jeffrey Wright), der Beobachter. Er sieht alles, überall. Auch im Multiversum. Und beobachtet so Ereignisse, die dadurch entstehen, dass zu einem bestimmten Moment der Zeit Dinge anders verlaufen sind als gewohnt.
Während des Zweiten Weltkriegs soll Steve Rogers (Josh Keaton) ein Serum verabreicht werden, das ihn zu einem Supersoldaten macht. Doch als ein gegnerischer Spion für Chaos sorgt und ihn verletzt, springt Peggy Carter (Hayle Atwell) für ihn ein. Allerdings muss sie sich zunächst gegen die damaligen Rollenbilder durchsetzen, die sie als Frau nicht frontfähig sehen, ehe sie schließlich als Captain Carter den Kampf gegen Hydra antreten kann.
What If …?, Was wäre, wenn …?: Comicfans können mit diesen Worten etwas anfangen. Denn so lauteten mehrere Serien, die lange Zeit ein elementarer Bestandteil des Marvel-Comics-Verlages waren. Immer wurde in ihnen die Frage gestellt, was geschehen wäre, wenn bestimmte Ereignisse anders abgelaufen wären. Wenn beispielsweise Spider-Man den Dieb aufgehalten hätte, der später seinen Onkel Ben umbrachte. Oder wenn Peter Parkers totgeborenes Kind überlebt hätte. Oder, mal komplett humoristisch, wenn einige prominente Marvel-Mitarbeiter die Fantastic Four geworden wären. Im Laufe der Jahre wurden so unterschiedliche Geschichten herausgebracht, die alle eins gemeinsam hatten: Sie liefen jeweils nur eine Ausgabe lang, ehe anschließend in der nächsten ein völlig neues Szenario präsentiert wurde.
Er ist überall
Mit dem Start des Disney–Plus-Streamingdienstes wurde dann auch angekündigt, dass das Konzept der Comicreihe zu einer Serie adaptiert werden würde. Allerdings nicht in Form einer Realverfilmung, wie es bei den vorherigen Reihen wie WandaVision der Fall war, sondern als eine animierte Fernsehreihe, die erste in der Geschichte des Marvel Cinematic Universe. Es wurden dabei mehrere Folgen angeteasert. Eine Marvel-Zombies-Episode oder eine Folge, in der der leider viel zu früh verstorbene Chadwick Boseman das letzte Mal T’Challa sprechen würde, der in ihr zum Star Lord wurde. Doch den Auftakt bildete Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre?.
Der Beginn der What If …?-Serie ist Marvel dabei gut gelungen. Zum einen die Einführung durch den Watcher Uatu, im Original gesprochen durch Jeffrey Wright. Dass dessen Spezis im MCU existiert, weiß man durch Guardians of the Galaxy vol. 2, wo sie in der obligatorischen Stan-Lee-Cameoszene auftauchten. In den Comics waren sie eine Rasse von höher entwickelten Außerirdischen, die sich dazu verpflichteten, Dinge nur zu beobachten und nicht einzugreifen. Uatu bildet da eine Ausnahme, doch das jetzt zu vertiefen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Auf jeden Fall ist seine Präsenz der rote Faden dieser Serie, ebenso wie er der Erzähler ist. Und wenn man beispielsweise in Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre? genau hinguckt, sieht man manchmal seine Augen im Hintergrund, wie sie die Ereignisse beobachten. Ein visuell guter Trick, mit dem dieser Charakter immer präsent ist, ohne dass man es bewusst mitkriegt.
Das andere Highlight ist die Tatsache, dass Peggy Carter durch Hayley Atwell gesprochen wurde. Die Schauspielerin hat die Figur bereits in dem allerersten Captain America-Kinofilm dargestellt und den Charakter auch in anderen Marvelfilmen geschauspielert. Ebenso stellte sie diese Protagonistin in einigen Folgen der Serie Agents of S.H.I.E.L.D. sowie der kurzlebigen Reihe Carter of S.H.I.E.L.D. dar, die allerdings irgendwann nicht mehr offiziell zum Kanon des MCUs gezählt wurden.
„Nur“ eine Frau
Die Faszination von Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre? entsteht vor allem aus der Beobachtung, wo Parallelen zum offiziellen Kanonverlauf existieren und wo nicht. Es gibt natürlich einige Ähnlichkeiten. Szenen, wie die Zugfahrt, wo im allerersten Captain America-Film Bucky Barnes angeblich sein Leben verlor. Oder auch das Ende der Folge, das eine gewisse Parallele zu den Erlebnissen von Steve Rogers aufweist. Und selbstverständlich die Beziehung zwischen ihr und Steve Rogers, die im Laufe der Episode wiederholt angedeutet wird, doch sich nie endgültig entfalten kann und dementsprechend unausgesprochen blieb.
Und was die Unterschiede angeht: Wo beispielsweise Steve Rogers im originalen Kanon dadurch zurückgehalten wurde, dass man ihn zunächst als Werbefigur einsetzte, ist es bei Peggy Carters anders. In Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre? wird sie vor allem als Frau und damit als eine von dem angeblich schwachen Geschlecht angesehen, obwohl sie durch das Superheldenserum deutlich größer und muskulöser ist als der Durchschnittssoldat. Zu sehen, wie sie dann durch die Unterstützung von Howard Stark ihre Unabhängigkeit, ihr Kostüm und ihren Schild erhält, ist grandios.
Generell ist es faszinierend, wie und wo im Unterschied zum offiziellen MCU bekannte Figuren eingesetzt werden. Howard Stark zum Beispiel entpuppt sich als wertvolle Unterstützung. Nicht nur dass er Peggy Carter hilft: Ebenso bietet er dem nicht zum Super-Soldaten gewordenen Steve Rogers doch noch eine Möglichkeit, Peggy Carter im Kampf gegen Hydra eine große Hilfe zu sein. Hier wird ein Element verwendet, dass man bislang mit seinem Sohn Tony verbindet.
Das ist nicht die Stimme, die ich kenne!
Man kann sich auch auf bekannte Gastauftritte freuen, wie beispielsweise eines Bucky Barnes, der sich hier nicht opfert, sondern der bis zum Ende dabei bleibt. Oder auf den Auftritt zweier berühmter Charaktere im Finale von Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre?.
Allgemein haben sich die die Macher der Folge darauf fokussiert, eine eigenständige Erzählung zu präsentieren. Klar ist allerdings auch, dass mit einer Laufzeit von rund 34 Minuten und der Tatsache, dass die Geschichte innerhalb einer Episode abgeschlossen sein muss, ihnen nicht die Möglichkeit bleibt, allzu sehr ins Detail zu gehen. Jedoch hat man nicht das Gefühl, dass dies ein Manko ist, da die Charakterisierungen und die Erzählung gelungen sind.
Der Aufakt zur What If …?-Serie ist ein wahres Fest geworden. Es ist wie ein MCU-Kinofilm in Kurzfassung, mit allem, was dazugehört: Spannung, Humor und Drama. Es ist übrigens auch interessant, wenn man mal darauf achtet, wer alles wen in der Folge gesprochen hat. Denn während Peggy Carter oder Bucky Barnes von denselben Darstellern gesprochen werden, wie man sie aus den Kinofilmen und Fernsehserien her kennt, erhält Steve Rogers seine Stimme hier nicht von Chris Evans, seinem Schauspieler aus dem Cinematic Universe! Das war aber eine bewusste Entscheidung der Produzenten, weil sie auf diese Weise auch das Multiversum akustisch zum Ausdruck bringen konnten. Sie wollten die Serie nicht durch die Stimmen definiert sehen, die sie hätten kriegen können, weshalb sie in einigen Fällen sogar Sprecher auswählten, deren Stimme keine Ähnlichkeit zum Original hatte.
Wie ein Gemälde
Nicht unerwähnt bleiben sollte Animation von What If …?. Man sieht ja auch in Was wäre, wenn Captain Carter die erste der Avengers geworden wäre?, dass man sich um eine realistische Darstellung bemüht hat, die ein wenig an Gemälde erinnert. Ab und an werden jedoch auch kleine Elemente eingebaut, die an den Ursprung des Materials erinnern, an die Comics. Kleinere Winde, die verdeutlichen, wie schnell und stark Peggy Carter zuschlägt, beispielsweise.
Es ist ein großartiger Auftakt, noch dazu mit einem Finale, das viel Potential für künftige Stories bietet, falls hier jemals wieder angeknüpft werden sollte. Ob dies dann auch so wahrgenommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber in jedem Fall wurde Lust auf mehr gemacht.
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