Was schenkt man einer bekannten Filmfigur anlässlich ihres 70. Geburtstags? Na klar, einen neuen Film, in diesem Fall Godzilla Minus One.
Es ist viel Zeit vergangen
70 Jahre Godzilla? Haut das überhaupt hin? Nicht ganz. Zwar wird in den ersten Minuten des Films dieses Jubiläum eingeblendet. Aber wenn man es genau nehmen will, kann das erst ab dem nächsten Jahr gelten, da der allererste Godzilla-Film 1954 in die Kinos kam.
Aber wenn man ehrlich ist, dann gehört eine solch freie Interpretation von Jubiläen zum Filmgeschäft dazu. Und im Falle der Riesenechse kommt auch noch hinzu, dass es mittlerweile sieben Jahre her ist, dass mit Shin Godzilla der letzte Realfilm aus den Tohostudios herauskam. In der Zwischenzeit konnte die bekannte Riesenechse zwar in den Filmen von Legendary Pictures kräftig auf den Putz hauen. Doch dass das nicht dasselbe ist, beweist Godzilla Minus One.
Dass so viel Zeit zwischen den beiden japanischen Filmen lag – die Animetrilogie, die auf Netflix läuft, wird hier bewusst ausgeblendet – lag daran, dass Toho und Legendary Pictures einen Vertrag hatten, der besagte, dass die jeweiligen Riesenechsenabenteuer nicht in ein und demselben Jahr laufen dürften. Und da ja eine gewisse Pandemie zwei Jahre lang dafür sorgte, dass in Sachen Filme Pläne keine große Haltbarkeit hatten, führte dies letzten Endes dazu, dass eben so viel Zeit verging, ehe der nächste Teil herauskam.
Empfehlenswerte Vorerfahrungen
Dabei sollte Godzilla Minus One von Takashi Yamazaki gedreht werden. Der in Japan renommierte Filmemacher wurde 2019 als neuer Regisseur bekanntgegeben und sollte ebenfalls das Drehbuch verfassen. Er machte sich sofort an die Arbeit, doch die Dreharbeiten verzögerten sich wegen der weltweiten Coronapandemie um einige Jahre. Diese Zeit nutzte er, um das Skript zu überarbeiten. Am Ende sollte es drei Jahre dauern, bis das Drehbuch fertig war.
Yamazaki meinte in einem Interview, dass sein Film durch die weltweite Furcht und Unzuverlässigkeit der Regierung während der COVID-19-Jahre inspiriert wurde. Weitere Einflüsse, die er nannte, waren Godzilla, Mothra and King Ghidorah: Giant Monsters All-Out Attack, der sein Lieblings-Godzilla-Film sei, sowie der allererste Godzilla-Film, Steven Spielbergs Der weiß Hai und die Filmwerke von Hayao Miyazaki.
Interessanterweise war Godzilla Minus One das dritte Mal, dass er mit der Riesenechse arbeitete. Das erste Mal war in seinem Filmdrama Always: Sunset on Third Street 2 (2007), wo das Wesen in der traumähnlichen Eröffnung des Films auftauchte. Außerdem wurde er während der Vorproduktion damit beauftragt, für den Seibu-En Amusement Park die Simulation Godzilla the Ride: Giant Monsters Ultimate Battle (2021) zu drehen.
Die Schuld, ein Überlebender zu sein
Beim Casting konnte Yamazaki Ryunosuke Kamiki in der Titelrolle des ehemaligen Kamikazepiloten Kōichi Shikishima und Minami Hamabe als Partnerin des Hauptcharakters Noriko Ōishi casten. Beide hatten bereits in der NHK-Dramaserie Ranman ein Paar gespielt, was ihn zu diesem Casting inspirierte. Yuki Yamada sollte zu dem Trainee Shirō Mizushima, derweil Munetaka Aoki als der frühere Navy Air Service Arbeiter Sōsaku Tachibana gecastet wurde, der zusätzlich Quelle der Schuldgefühle des Protagonisten sein sollte. Hidetaka Yoshioka war einer der ältesten Schauspieler im Cast und erhielt den Zuschlag für die Rolle des ehemaligen Waffeningenieurs Kenji Noda. Sakura Ando wurde zur Nachbarin von Koichi, Sumiko Ōta, während Schauspielveteran Kuranosuke Sasaki in die Rolle des Schiffcaptains Yōji Akitsu gecastet wurde.
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs desertiert der Kamikazepilot Kōichi Shikishima und landet unter Vorgabe von technischen Problemen auf der Insel Odo. Dort wird er Zeuge, wie eine dinosaurierartige Kreatur, von den Einheimischen Godzilla genannt, auftaucht und, als ihn die dort ansässige Einheit in Panik angreift, alle tötet. Nur Koichi und der Mechaniker Sōsaku Tachibana überleben. Letzterer beschuldigt den Piloten für die Toten verantwortlich zu sein, weil er im entscheidenden Moment nicht das Geschütz seines Fliegers abfeuerte.
Zurück in Japan leidet Koichi unter einem Überlebensschuldsyndrom. Er nimmt allerdings die Überlebende Noriko Oishi bei sich auf, die ihrerseits von einer sterbenden Mutter deren Tochter Akiko an sich genommen hat. Bald darauf findet Koichi eine Stelle bei einem Minenräumungsboot und kann so für seine „Familie“ finanziell sorgen. Doch taucht eines Tages ein durch einen Atombombentest mutierter und groß gewordener Godzilla auf und greift Japan an. Die darauffolgenden Ereignisse verändern das Leben von Koichi erheblich und verstärken sein Überlebensschuldsyndrom.
Der Unterschied
Mit Godzilla Minus One wird klar, was die Realverfilmungen der aktuellen Reiwa-Ära ausmacht. Sie stehen für sich und haben keinen Bezug zu früheren Filmabenteuern der Riesenechse. Sie stellen Godzilla alleine dar und lassen nicht noch andere Kaijus auftauchen. Und gleichzeitig legen sie Wert auf Charakterarbeit, ebenso wie sie Schwächen der japanischen Politik offenlegen. Was ein enormer Unterschied zu den Legendary Studios ist, die mehr Fokus auf Monsteraction legen.
Doch was diesen Kinofilm dabei so besonders macht, ist die Tatsache, dass er nicht in der Gegenwart stattfindet, sondern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Was ein Setting ist, dass in den Godzilla-Filmen noch nie vorkam und dementsprechend frisch und unverbraucht wirkt. Es sorgt außerdem dafür, dass viele technische Gegebenheiten, wie man sie aus den letzten Auftritten der Riesenkreatur kennt, Computer und so, nicht vorkommen – vieles wirkt „handgemacht“. Des Weiteren ist die Auseinandersetzung zwischen den Menschen und dem Kaiju dieses Mal auf eine Art direkter, wie man es so zuletzt aus dem allerersten Filmauftritt der Riesenechse kannte.
Der Zweite Weltkrieg und seine Auswirkungen sind dabei in Godzilla Minus One allgegenwärtig. Japan hat eine vernichtende Niederlage erlitten, bei der viele Menschen ums Leben kamen und es berappelt sich im Laufe des Films mühsam wieder. Dabei ist der Wunsch nach einem „Nie wieder“ allgegenwärtig. Die Veteranen des Weltkriegs haben alle auf die eine oder andere Art mehr oder weniger physische oder psychische Wunden davongetragen. Und sie werden von dem Gedanken angetrieben, dass diejenigen, die nicht im Krieg gekämpft haben, den Schrecken nicht ebenfalls miterleben müssen.
Psychisch kaputt
Das zeigt sich besonders bei der Crew des Minenräumschiffs Shinsei Maru. Neben dem Hauptprotagonisten Kōichi Shikishima sind da noch der Wissenschaftler Kenji Noda und der handfeste Captain des Schiffes Yōji Akitsu. Sie sind die Kriegsveteranen in Godzilla Minus One. Und dann ist da noch der Trainee Shirō Mizushima, der sich darüber ärgert, dass er nicht im Weltkrieg mitkämpfen konnte, und dessen sehnlichster Wunsch es ist, dies nachzuholen, womit er bei seinen Kollegen auf Unverständnis stößt.
Denn vor allem Kōichi Shikishima ist erheblich traumatisiert. Man hat in der Godzilla-Filmhistorie noch nie einen psychisch so kaputten Hauptcharakter gehabt. Ryunosuke Kamiki spielt diese bemitleidenswerte Figur mit Leib und Seele. Wiederholt hat er Albträume oder ist sich unsicher, ob er sein Leben träumt oder schon tot ist. Die Einzige, die ihn ein wenig erdet und verhindert, dass er völlig durchdreht, ist Noriko Ōishi.
Hier hat man es in Godzilla Minus One mit einer intelligenten und selbstbewussten Frau zu tun, der das Schicksal der anderen nicht egal ist. Das erkennt man unter anderem daran, dass sie sich hingebungsvoll um Akiko kümmert, obwohl sie nicht ihre leibliche Tochter ist. Oder dass sie Kōichi, als er wieder einen schlimmen Anfall hat, drängt, sich ihr endlich zu öffnen, ihr endlich zu sagen, was ihn plagt. Er stößt sie jedoch weg. Erst später wird ihm klar, was sie ihm bedeutet, was dann allerdings zu spät ist. Denn in einer visuell eindrucksvollen Szene opfert sie ihr Leben für ihn.
Eine imposante Kreatur
Ganz wie in Godzilla, Mothra and King Ghidorah: Giant Monsters All-Out Attack ist Godzilla hier selbst ein Monstrum, ein Ungeheuer, das ohne Rücksicht auf Verluste vorgeht. Wobei die Riesenechse in diesem Film noch mehr als sonst wie eine Atomwaffe auf zwei Beinen dargestellt wird. Die Auswirkungen seines Hitzestrahls machen das mehr als deutlich, sodass eine regelrechte pilzförmige Wolke aufsteigt und eine Schockwelle auslöst, die alles in ihrer nächsten Umgebung wegfegt. Was die furchterregenden Eigenschaften des Wesens noch mehr verstärkt, ist die Tatsache, dass es sich regeneriert und noch widerstandsfähiger ist, als die Protagonisten glauben. All dies sorgt dafür, dass man wie zuletzt in Shin Godzilla einen leichten Grusel bekommt, wenn man die imposante, vernarbte und eindeutig aggressiv aussehende Kreatur sieht.
Godzilla Minus One ist ein Meisterwerk von Takashi Yamazaki. Der Fokus auf den gebrochenen Kōichi, dessen Krieg nie wirklich vorbei ist, und die Charakterisierung von Godzilla als Ungeheuer ist phantastisch. Spannung entsteht dabei vor allem aus der Frage, ob der Hauptcharakter am Ende doch den Freitod wählt oder ob er sich fürs Leben entscheidet. Wenn man die Chance hat, den Film in den Kinos zu sehen, unbedingt reingehen! Es lohnt sich!
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