Ein dystopisches Gefängnis bildet die kapitalistische Gesellschaft nach.
Wenn oben das große Fressen stattfindet …
Das Grundprinzip des spanischen Sci-Fi-Thrillers von 2020 ist schnell erklärt. Der Schacht ist eine Mischung aus Gefängnis und soziologischem Experiment. Jeden Tag fährt eine Plattform mit Essen von Ebene 0 bis ganz nach unten, und je höher die Insassen einquartiert sind, desto mehr Nahrung steht ihnen zur Verfügung.
Auf der Ebene 48 trifft der Student Goreng (Iván Massagué), der sich von seiner Teilnahme einen Uniabschluss verspricht, auf einen älteren Herrn (Zorion Eguileor), der eine Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung absitzt. Zunächst kommt Goreng ganz gut mit seinem Zellengenossen aus, der sich Trimagasi nennt. Beide haben genug zu essen und zum Schlafengehen liest der Student seinem Mitgefangenen sogar aus dem Buch Don Quijote vor. Jeder durfte einen Gegenstand mit in den Schacht nehmen und Goreng war der Erste, der ein Buch wählte, während sich Trimagasi für ein Messer entschieden hat.
… kommt unten nichts an
Kaum werden die beiden über Nacht auf Ebene 171 versetzt, erweist sich das Messer als Überlebensvorteil. Dort unten kommen nämlich kaum noch Lebensmittel an, also fesselt Trimagasi seinen Leidensgenossen und schneidet sich buchstäblich eine Scheibe von ihm ab. Erst im letzten Moment wird Goreng von einer scheinbar verrückten Frau (Alexandra Masangkay) gerettet, die alle Ebenen auf der Suche nach ihrer Tochter durchstreift. Gemeinsam essen sie den alten Mann.
Nach einem Monat in den Tiefen des Schachtes wird Goreng auf Ebene 33 hochgestuft, wo er neben einer Frau namens Imogiri (Antonia San Juan) aufwacht. Sie hat einst für die Verwaltung der Schachtbetreiber gearbeitet und ist überzeugt, dass man die Insassen nur zur Zusammenarbeit bewegen müsse, um eine solidarische Gesellschaft aufzubauen. So einfach ist das jedoch nicht. Goreng kann lediglich die Gefangenen auf den darunterliegenden Ebenen zur Kooperation zwingen, indem er damit droht, ihnen auf den gedeckten Tisch zu kacken. Da das jedoch nicht entgegen der Schwerkraft funktioniert, ist von den oberen Ebenen keine Zusammenarbeit zu erwarten.
Auf Ebene 202 begeht Imogiri schließlich Suizid, da sie ihren Irrtum erkannt hat. Goreng kann den Monat in dieser Tiefe dadurch überleben. Danach findet er sich, gemeinsam mit dem Afrikaner Baharat (Emilio Buale), auf Ebene 6 wieder. Sein neuer Zellengenosse versucht zunächst, nach oben aufzusteigen. Als Baharat jedoch erkennen muss, dass die über ihm „einen Scheiß auf ihn geben“, kann Goreng ihn dazu überreden, mittels Gewalt ein System der Kooperation durchzusetzen.
Gemeinsam fahren sie mit der Plattform nach unten und schlagen jedem den Schädel ein, der sich mehr als nur eine Portion nimmt. Zum Schluss wollen sie eine Panna Cotta als Botschaft nach Ebene 0 zurücksenden. Als die beiden auf Ebene 333 die vermisste Tochter der inzwischen verstorbenen Frau finden, entscheidet sich Baharat jedoch, das Kind als Botschaft nach oben zu schicken. Während Baharat seinen erlittenen Verletzungen erliegt, bleibt Goreng im Keller des Schachtes zurück.
Eine grausame Parabel auf die Gesellschaft
Der Schacht ist eine Verkörperung der kapitalistischen Klassengesellschaft. Die Glücklichen, die sich ganz oben befinden, leben in Saus und Braus und scheißen nicht nur sprichwörtlich auf diejenigen unter ihnen. (Der Film ist in seiner Bildsprache übrigens wirklich so drastisch!) Die Mittelschicht bekommt zwar immer noch genug ab, um zu überleben, hat aber Abstiegsängste. Diese sind durchaus begründet, denn unten kommt nichts mehr an und die Menschen dort verhungern.
Im Gegensatz zur Realität werden die Positionen der Insassen des Schachtes willkürlich über Nacht getauscht. Das bedeutet, wer eben noch genug zu essen hatte, lernt schnell mal die Perspektive derjenigen kennen, die weniger Glück hatten. Um wieder aufzusteigen, muss man dann erst einmal überleben. Doch obwohl der Hunger jeden treffen kann, denken mit wenigen Ausnahmen die meisten weiterhin nur an sich selbst. Sie erkennen nicht, dass das System ihr Feind ist, sondern fressen sich lieber gegenseitig. Eine Parabel auf die Spaltung der unteren Gesellschaftsebenen, die sich lieber untereinander bekriegen, anstatt solidarisch zusammenzuhalten und sich gegen das System zu verbünden.
Als Goreng gleich zu Beginn vorschlägt, etwas an der Ungerechtigkeit zu ändern, bezichtigt ihn Trimagasi sofort, ein Kommunist zu sein. Ganz so, als wäre das etwas Verwerfliches. Die Menschen kennen nur die kapitalistische Ellenbogengesellschaft und nehmen sie als einzig denkbare Realität hin. Gorengs nächster Versuch, Gerechtigkeit mit Gewalt durchzusetzen, kommt daher einer Revolution gleich. Der Film zeichnet ein wirklich düsteres Bild von der Gesellschaft und spart nicht mit brutalen Szenen.
Ebenso wenig wird an Symbolismus gespart. Von allen Büchern, die Goreng mitnehmen konnte, musste es ausgerechnet Don Quijote sein. Mit Sicherheit nicht nur, weil das ein spanischer Literaturklassiker ist, sondern weil Goreng wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpft. In diesem Fall gegen die Windmühlen menschlicher Ignoranz und Ichbezogenheit.
Die Anzahl der Ebenen scheint ebenfalls kein Zufall zu sein. 333 ist exakt die Hälfte der teuflischen Zahl 666. Mit anderen Worten befinden sich die Insassen des Schachtes schon auf halbem Weg in die Hölle. Wobei die eigentlich kaum schlimmer sein kann als das kannibalische Gemetzel auf den unteren Ebenen. Ganz unten angekommen finden Goreng und Baharat jedoch den Schlüssel zu ihrer Erlösung – ein Kind, das symbolisch für die Option einer besseren Zukunft steht.
An dieser Stelle bricht der Film jedoch abrupt ab. Man erfährt weder, was aus Goreng im Keller des Schachtes wird, noch ob das kleine Mädchen oben ankommt. Somit lässt das Ende auch im übertragenen Sinne offen, ob die Botschaft des Films bei den Zuschauern angekommen ist oder nicht. Werden sie nach dieser Erfahrung über die Ungerechtigkeit in der Welt nachdenken oder haben sie sich einfach nur an dem dargebotenen Horror ergötzt?
Fazit
Der Schacht ist sicherlich nichts für schwache Nerven und zeichnet ein extrem pessimistisches Bild von der Welt. Er bietet ein ähnliches Setting wie der Genre-Klassiker Cube, in dem ebenfalls Menschen von einer nicht näher benannten Elite in eine tödliche Umgebung versetzt werden. Diesmal geht es jedoch nicht darum, Rätsel zu lösen, um Fallen zu entgehen und den Ausgang zu finden. Es geht um den knallharten Überlebenskampf in einem ungerechten Pyramidensystem, und die einzige Lösung heißt Solidarität. Dieser verweigern sich jedoch die meisten Insassen, da sie auf Egoismus konditioniert sind. Niemand müsste verhungern, wenn alle gerecht teilen würden. Ganz so wie im realen Leben.
Warpskala
WarpskalaPositiv
- Der Schacht ist eine gute Parabel auf die Gesellschaft.
- Jedes kleine Detail hat eine beabsichtigte Aussage.
Negativ
- Die Bilder von Maden, Kot und Gedärm sind zuweilen sehr abstoßend.
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