Im Ring ist der Auftakt zu einer außergewöhnlichen Serie.

Damals …

Nach dem Vorfall (Der Endkampf im ersten Avengers-Film) haben kriminelle Kartelle den New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen unter sich aufgeteilt. Sie genießen relative Narrenfreiheit, bis sich ihnen einen schwarzgekleideter Vigilant in den Weg stellt und beginnt, ihre Operationen zu stören.

Dieser Verbrechensbekämpfer ist niemand Geringeres als der blinde Anwalt Matt Murdock (Charlie Cox). Gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Foggy Nelson (Elden Henson) gründet er eine eigene Anwaltskanzlei. Und gleich ihr allererster Auftrag hat es in sich: Sie sollen die als Mörderin verdächtigte Karen Page (Deborah Ann Woll) verteidigen, obwohl es Versuche gibt, sie auszuschalten.

Heutzutage ist man eine wahre Flut an Marvel-Material gewohnt. Dank Disney Plus kommen Fans des Marvel Cinematic Universe zusätzlich zu den Filmen auch in den Genuss zahlreicher Serien und Specials, die neue Ecken dieses Universums erforschen. Das war nicht immer so. Denn im Jahr 2015 dominierte Marvel zwar die Kinos, doch im Fernsehen sah es eher mau aus. Es liefen „nur“ Agents of S.H.I.E.L.D. und Agent Carter. Und letztere Reihe war auch nicht eben sonderlich erfolgreich, sie wurde mit der zweiten Staffel 2016 abgesetzt.

Eine grandiose Reihe feiert ihr Debüt

Auftritt Netflix: Der Streamingdienst brachte in diesem Jahr mit Daredevil eine Reihe heraus, die für Aufsehen sorgte. Sie wurde von den Kritikern hochgelobt und sollte im Laufe der Zeit ein eigenes Universum hervorbringen, welches nicht wirklich zum MCU zählte. Es erzeugte seine eigene riesen Fangemeinschaft, die später mit dafür sorgen sollte, dass die Figur in der She-Hulk-Serie in Quak und zack ihr MCU-Debüt feiern konnte. Mit Im Ring fing alles an.

Im Vergleich zu den aktuellen MCU-Reihen fällt gleich in der ersten Episode auf, wie anders diese Serie ist. Sie besitzt zwar Humor, aber der ist längst nicht so präsent, wie jetzt beispielsweise bei Moon Knight oder The Falcon & The Winter Soldier, die von allen MCU-Serien noch die meiste Ernsthaftigkeit besaßen. Stattdessen präsentiert sich die Netflix-Reihe düster, blutig und brutal.

Doch mit all diesen Aspekten grenzt sich Daredevil deutlich von MCU ab. Es wird zwar angedeutet, dass es Bestandteil von diesem ist, diese Anspielungen sind Im Ring allerdings längst nicht so offensichtlich, wie man es eigentlich erwarten müsste. Die Existenz von Vigilanten ist allgemein bekannt und die Geschichte der Serie wäre ohne die Ereignisse des ersten Avengers-Films nicht möglich.

Kein Vorwissen nötig

Und doch steht die Story der Serie auf eigenen Füßen. Man kann sie auch verstehen, ohne ein Fan des Marvel Cinematic Universe zu sein. Und das ist nicht selbstverständlich.

Was Im Ring dabei richtig macht, ist die Tatsache, dass sich die Folge Zeit lässt. Man hat hier nicht die große Ursprungsstory, an deren Ende der Held sich im Kostüm aufmacht, seine Mission zu erfüllen. Stattdessen wirkt die Geschichte mehr wie das erste Kapitel einer Narration, die die gesamte Season füllen wird. Es ist eine Auftaktfolge, in der vieles zum ersten Mal vorkommt, wie beispielsweise die Gründung der Kanzlei Nelson & Murdock. Aber es wird nicht gleich der komplette Origin von Matt Murdock wiederholt, wie man ihn als geneigter Fan ja bereits aus dem Daredevil-Film kennt. Stattdessen werden nur Einzelteile erzählt, so dass man davon ausgehen kann, dass der Rest dann verstreut über die kommenden Folgen kommt.

Dabei baut die Auftaktfolge sehr schön die Atmosphäre eines Kampfes David gegen Goliath auf. Das organisierte Verbrechen wird schier übermächtig gezeigt, mit seinen Einflüssen überall. Es ist in der Lage, dafür zu sorgen, dass Karen Page im Gefängnis angegriffen wird. Und schafft es problemlos, alle Spuren seiner Verbrechen zu verwischen, ohne dass jemand hierfür belangt wird. Man erfährt, dass die jeweiligen Gruppierungen zusammenarbeiten, wenn auch eher widerwillig, unter der Leitung einer unbekannten Figur. Dass diese Leute, die sich untereinander nicht gerade grün sind, trotz aller Antipathien kooperieren, zeugt von der Macht und dem Charisma des obersten Leiters und weckt selbstverständlich Neugierde, wann man ihn endlich kennenlernen wird.

Kein Überheld

Natürlich wird auch die Heldenseite Im Ring dem Zuschauer nähergebracht. Besonders Matt Murdock wird dabei genauer charakterisiert. Man erfährt die üblichen Fakten über seine Kindheit, wie eben, dass er als Kind bei einem Unfall sein Augenlicht verlor. Gleichzeitig werden aber auch sein Glaube und sein Sinn für Gerechtigkeit betont. Letzter sorgt dafür, dass er seinen Kollegen Foggy Nelson davon überzeugen kann, dass die beiden doch noch Karen Pagen verteidigen, obwohl die Umstände für ihre eindeutige Schuld sprechen.

Interessant ist hierbei natürlich die Tatsache, dass er in dieser Episode noch nicht Daredevil ist. Sein Outfit besteht aus schwarzen Trainingsklamotten, mit denen er sich ins Getümmel stürzt und dabei als Vigilant das Verbrechen bekämpft. Er hat noch nicht mal seinen berühmten Stab mit sich, den er ebenfalls als Wurfwaffe benutzen kann, auch wenn der Ursprung der Idee hier angedeutet wird. Und er blutet. Er ist kein Überheld, nicht unverwundbar, sondern jemand, der sich im Kampf gegen das Verbrechen Verletzungen zuzieht und trotzdem weiterkämpft. Charles Cox, der Schauspieler, schafft es dabei, diese verschiedenen Aspekte der Figur ebenso wie die Blindheit des Charakters glaubwürdig rüberzubringen.

Foggy Nelson dient Im Ring als Comedyrelief, wobei dies der vielleicht größte Unterschied zwischen dieser Serie und dem MCU ist. Während bei Letzterem der Humor deutlich stärker vertreten ist, deutlich mehr ausgeprägt ist, hält sich die Netflix-Serie sehr zurück. Es gibt zwar Augenblicke, wo man sich ein Lachen nicht verkneifen kann, etwa wenn man Foggys „Bestechung“ eines Polizisten sieht, aber das macht die Figur nicht zu einem wandelnden Witz, weil er noch genügend ernste Szenen erhält.

Keine Damsel in Distress

Und Karen Page? Hier bemühen sich die Macher, sie nicht als Damsel in Distress darzustellen. Sie hat ihre Panikmomente, die allerdings aufgrund der Erfahrungen, die sie durchlebt hat, durchaus verständlich sind. Stattdessen erfährt man auch, dass sie niemandem wirklich vertraut, unter anderem ihren Anwälten nicht. Weshalb es interessant wird, wie sich das in den kommenden Episoden weiterentwickelt.

Im Ring ist ein großartiger Auftakt zur Daredevil-Serie.

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Götz Piesbergen

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