Als die Sonne zum roten Riesen zu werden droht, flieht die Menschheit mitsamt der Erde.
Handlung
Als die Sonne sich zu verändern beginnt, beschließt eine globale Koalition, tausende Antriebe auf der nördlichen Hemisphäre zu bauen und die Erde damit nach Proxima Centauri zu verlegen, um so einem tödlichen Heliumblitz zu entkommen. Alles beginnt damit, dass die Rotation des Planeten gebremst wird, sodass Asien nur noch durch das Feuer der gigantischen Triebwerke erleuchtet wird. Im zweiten Schritt wird die Erde in Bewegung gesetzt. Der chinesische Ich-Erzähler, dessen Name ungenannt bleibt, schildert, wie er auf einer wandernden Erde aufgewachsen ist.
Auf einem Schulausflug besucht er eines der Triebwerke und sieht auf dem Rückflug zum ersten Mal einen Sternenhimmel. Während er heranwächst, vollzieht die Erde mehrere Swingby-Manöver um die Sonne herum. Da die Erde dabei zunehmend erkaltet, zieht sich die Menschheit in unterirdische Städte zurück. Durch die tektonischen Kräfte wird die Stadt, in welcher der Protagonist lebt, jedoch von Magma überflutet, wobei seine Mutter stirbt.
Als junger Mann nimmt er an den ersten Olympischen Spielen seit zweihundert Jahren teil. Dazu gehört ein Rennen über den zugefrorenen Pazifik nach New York, bei dem er die Japanerin Yamasaki Kayoko kennen- und lieben lernt. Die beiden heiraten kurz darauf und erhalten die Erlaubnis, Nachwuchs zu zeugen, was nur jedem dritten Paar gestattet ist. Später werden sie Eltern eines Sohnes.
Beim letzten Flug um die Sonne durchquert die Erde das Zentrum des Asteroidengürtels und die gefährlichen Brocken werden mit Antimateriebomben gesprengt. Dabei stirbt der Vater des Ich-Erzählers, der für die Raumflotte gearbeitet hat. Zu allem Übel erblindet Kayoko vorübergehend, als sie versehentlich direkt in die Explosion sieht. Sie und ihr Mann müssen auf Hawaii zwischenlanden und in einem unterirdischen Bunker Schutz suchen, da die herabregnenden Trümmer gigantische Tsunamis aus geschmolzenem Meerwasser auslösen.
Die Erde zieht als nächstes am Jupiter vorbei, um noch einmal Schwung zu holen, während das zunehmend unglückliche Paar in eine neue Heimatstadt zieht und dort den gemeinsamen Sohn großzieht. Wenig später stellt Kayoko fest, dass sich die Sonne überhaupt nicht verändert hat, was auch von anderen Hobbyastronomen bestätigt wird. Hat die Koalition etwa die Menschheit betrogen? So scheint es zumindest, und eine Revolution bricht los. Nachdem der Staat den beiden ihren Sohn abgenommen hat, hält sie nichts mehr zusammen. Kayoko schließt sich den Aufständischen an, während es den Protagonisten zum Militär der Koalition zieht.
Die Aufstände breiten sich immer weiter aus, bis nur noch das Kontrollzentrum der Planetentriebwerke unter Kontrolle der Koalition steht. Während Kayoko in der Schlacht um Australien stirbt, wird der Ich-Erzähler am Arm verwundet. Als das Kontrollzentrum angegriffen wird, rekrutiert man ihn direkt aus dem Krankenbett, womit er zu den letzten 5.000 Verteidigern gehört. Nach ihrer Gefangennahme werden sie allesamt zum Kältetod verurteilt, und alsbald stehen sie auf der gefrorenen Erde wie einst die Terrakotta-Armee des Kaisers Qin Shihuangdi.
Kurz darauf kommt es doch noch zum Heliumblitz, der das gesamte innere Sonnensystem verdampft. Die Erde ist zum Glück schon weit genug entfernt, sodass ein kleiner Teil der Menschheit überlebt. Der Sohn des Protagonisten gehört als einziges Familienmitglied dazu und erzählt die Geschichte fort, die in einigen Jahrtausenden mit der Ankunft um Proxima Centauri endet.
Rezension von Die wandernde Erde
Als tragische Familiengeschichte des Ich-Erzählers funktioniert der Comic ganz gut. Es geht vor allem darum, trotz aller Verluste die Hoffnung nicht aufzugeben. Als Erster stirbt der Großvater durch den heißen Regen, der von den nahen Planetentriebwerken verursacht wird. Aufgrund seiner Demenzerkrankung geht er draußen spazieren und wird dabei verbrüht. Wenig später erliegt er den Verletzungen.
Jahre später erwischt es die Mutter des Protagonisten, die einen noch grässlicheren Hitzetod durch Magma stirbt. Die Städteplaner haben nur zwei Hauptzugänge zur unterirdischen Stadt angelegt, die beide abgeschnitten werden, sodass nur noch ein direkter Lift nach oben bleibt. Dessen Kapazität reicht nicht aus, um alle Bewohner rechtzeitig zu evakuieren, wobei strikt nach Alter vorgegangen wird. Zuerst die Säuglinge, dann die Vorschulkinder usw. Das Unbegreifliche dabei ist, dass die Babys nicht einmal von den Müttern begleitet werden dürfen und auch den anderen Minderjährigen keine erwachsenen Begleitpersonen zur Seite gestellt werden. Wie hätten die denn überleben sollen, wenn es überhaupt keine Erwachsenen mehr nach oben geschafft hätten?
Beim Tod des Vaters Jahre später kommt es ebenfalls zu einer ganzen Reihe Ungereimtheiten. Warum werden die Antimateriebomben nicht mit unbemannten Raumsonden zu den Asteroiden geflogen? Und seit wann stehen die Gesteinsbrocken im Asteroidengürtel überhaupt so dicht, dass da kein Planet hindurch passen würde? Die wenigen Brocken, die tatsächlich in die Flugbahn der Erde geraten könnten, sollte man zudem besser ablenken als sprengen. Der anschließende Trümmerregen war absehbar und daher auch vermeidbar. Ebenso wie Kayokos beinahe Erblindung durch den Blick in die Antimaterieexplosion.
Die radioaktive Verstrahlung der Asteroidentrümmer, die ein zusätzliches Problem darstellen sollte, wird gar nicht erst erwähnt. In der Realität wäre keine Raumfahrtbehörde so dumm, derart fahrlässig mit Asteroiden umzugehen. Zumal das selbst in dem Fall, dass die Erde durch den Asteroidengürtel wandern würde, wohl nur selten überhaupt nötig wäre. Die Erde würde viele Asteroiden einfach ablenken, als Monde einfangen oder als Trojaner mit sich ziehen. Die Darstellung in dieser Erzählung ist von vorne bis hinten unrealistisch!
Das trifft im Übrigen auf den gesamten Plot zu, der völlig an den Haaren herbeigezogen ist. Zunächst einmal wird die Sonne in naher Zukunft nicht zum roten Riesen werden. Sie hat gerade einmal rund die Hälfte ihrer Lebensdauer hinter sich, weshalb die Menschheit mit hoher Wahrscheinlichkeit längst ausgestorben sein wird, bevor es für die Erde brenzlig wird. Wenn es dann so weit ist, müsste sich auch niemand mehr Gedanken machen, bei einem Heliumblitz verdampft zu werden. Lange bevor die Sonne sich zum roten Riesen aufbläht, wird sie bereits heller und heißer strahlen, sodass alles, was verdampfen kann, längst vom Sonnenwind hinfort geweht ist, bevor die Erde möglicherweise von ihr verschlungen wird.
Ob die Sonne überhaupt so stark anwachsen wird, dass sie die Erde verschluckt, darüber sind sich die Astronomen noch nicht einig. Zumindest der Mars wird wohl verschont werden. Zweifelsfrei steht jedoch fest, dass die Sonne nicht binnen weniger Jahrhunderte ihren Wasserstoffvorrat aufbrauchen und dann binnen Minuten nach einem Heliumblitz zum roten Riesen aufblähen wird. Diese Prozesse werden in sehr ferner Zukunft über Jahrmillionen ablaufen! Wenn es in knapp vier Milliarden Jahren soweit sein wird und die Menschheit dann tatsächlich noch existieren sollte, wäre es von daher klüger, die Erde langsam ins äußere Sonnensystem zu bewegen, wo ihr noch einmal ein paar Millionen Jahre in einer deutlich nach außen verschobenen habitablen Zone bleiben würden.
Den Flug nach Proxima Centauri würde sie dagegen nicht überstehen. Im Comic wird sogar erwähnt, dass die Erde einfriert und dabei alles Leben an der Oberfläche abstirbt. Selbst Gase erstarren zu Kristallen. Obendrein wird der Planet durch Asteroideneinschläge, Gezeitenkräfte und kosmische Strahlung geschunden. Wie die Erde dann bei ihrer Ankunft plötzlich wieder erblühen kann, ist reine Fantasy! Es wäre besser, mit Generationenschiffen nach Proxima Centauri zu fliegen und dort nach habitablen Planeten zu suchen, die sich terraformen lassen. Diese Einstellung wird jedoch von der Koalition bei Strafe verboten und lächerlich gemacht.
Als Beispiel dient ein Aquarium mit einem geschlossenen Ökosystem, was aufgrund seiner geringen Größe nach einem Jahr komplett tot ist. Zum einen wären Generationenschiffe weitaus größer und zum anderen würden die meisten Lebensformen in Form von Samen und Genproben mitgenommen. Das alles scheint dem Autor kein Begriff zu sein, dessen Idee einer wandernden Erde viel absurder ist als die bemannte Raumfahrt. Aber in dem Bildungssystem, das Cixin Liu sich für die Zukunft ausmalt, scheint für Vernunft ohnehin nicht viel Platz zu sein. So ordnet die Lehrerin beim Schulausflug an, dass alle Kinder in die Sonne sehen sollen, sonst gibt es null Punkte. Dabei warnt sie sogar selbst, dass der direkte Blick in die Sonne zu Blindheit führen kann. Was soll dann der ganze Quatsch?
Um Vernunft und Logik ist es bei Liu nicht sonderlich gut bestellt, was sich auch bei den Triebwerken zeigt, welche die Erde aus ihrer gewohnten Umlaufbahn bewegen. Zunächst einmal befinden sich alle im hohen Norden, was es schwierig machen dürfte, die Erde in der Ekliptikebene zu halten. Die Erde würde nach unten und nicht nach außen aus dem Sonnensystem gedrückt. Außerdem wären rund um den Globus mehrere Manövriertriebwerke nötig, um den Kurs zu korrigieren.
Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zur Art des Antriebs. Die Triebwerke werden nämlich mit Felsgestein gefüttert, welches fusioniert wird. Die künstliche Fusion von Wasserstoff zu Helium ist schon schwierig, wenn auch nicht unmöglich. Bisher wird dabei noch mehr Energie zugeführt als freigesetzt, weshalb sich diese Art der Energiegewinnung nicht rentiert. Die Fusion schwerer Elemente wie Silizium, woraus die Erdkruste hauptsächlich besteht, dürfte so ziemlich unmöglich sein. Die Verschmelzung von Atomkernen zu noch schwereren Elementen findet bei Supernovae-Explosionen statt, nur um mal zu veranschaulichen, welche immensen Kräfte dazu nötig wären.
Man muss wahrlich weder Physik noch Astronomie studiert haben, um den Plot von Die wandernde Erde als wissenschaftlichen Nonsens zu entlarven. Und selbst wenn derartige Fusionsantriebe möglich wären, würden sie für einen Flug nach Proxima Centauri sämtliche Ressourcen der Erdkruste aufbrauchen. Die Erde wäre bei ihrer Ankunft nicht nur tot, sondern kaum noch existent.
Und nur so nebenbei, würden bei Proxima Centauri mitnichten drei Sonnen am Himmel stehen. Zwar handelt es sich um ein Dreifachsternsystem, zu dem auch Alpha Centauri A und B gehören, doch stehen sich nur letztere beiden recht nahe. Proxima Centauri zieht seine Bahnen in einem Abstand von 0,2 Lichtjahren um das Alpha-Centauri-Doppelsternsystem, sodass dieses nur in Form von zwei besonders hellen Sternen zu sehen wäre. Nur mal zum Vergleich: Die Sonne ist vom Neptun aus gesehen schon nur noch ein kleiner Punkt und Proxima Centauri ist 500mal so weit von Alpha Centauri A und B entfernt!
Ob an diesem falschen Bild nur der Zeichner schuld ist, spielt eigentlich kaum eine Rolle. Sowohl Cixin Liu als auch Christophe Bec werfen zwar mit astronomischen Begriffen um sich, die sogar in einem Glossar korrekt erklärt werden, doch wirklich verstanden haben sie offenbar nichts davon. Andernfalls wäre nicht solcher Murks dabei herausgekommen.
Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die große Rahmenhandlung mit hanebüchenem Blödsinn gespickt ist, handeln die Charaktere auch im Kleinen zuweilen extrem unlogisch. Da wäre allen voran Yamasaki Kayoko, die der Ich-Erzähler bei einem Rennen über den Pazifik kennenlernt. Übrigens, seit wann kommt man da bei New York raus? Liegt die Stadt nicht an der Ostküste zum Atlantik? In Geografie sind die Autoren wohl ebenfalls durchgefallen.
Na jedenfalls ist es noch ganz nett, dass ein Chinese einer verunglückten Japanerin hilft. Das trägt sicherlich zur Aussöhnung der verfeindeten Nationen bei. Doch ebenso schnell, wie sich die beiden ineinander verlieben, ist der Ofen nach der Geburt des Sohnes auch schon wieder aus. Obendrein entscheidet sich Kayoko spontan, sich der Revolte anzuschließen. Hey, ein Aufstand sieht lustig aus, lass mitmachen! Um das Kind kümmert sich ohnehin längst der Staat, gegen den gerade rebelliert wird. Weder ist die Koalition eine Gesellschaft, in der man leben möchte, noch sind die Aufständischen mit Vernunft gesegnet. So endet der Sohn der beiden folgerichtig als Vollwaise.
Besonders drastisch ist dabei die Hinrichtung der letzten Koalitionäre, die umso sinnloser erscheint, da sich kurz darauf herausstellt, dass die Koalition die Menschheit gar nicht belogen hat. Lassen wir mal den astrophysikalischen Unsinn beiseite, dass der Heliumblitz wie aus dem Nichts kommt, die Sonne eine Minute später ein roter Riese und zwei Minuten später erloschen ist. Warum schalten die Aufständischen die Triebwerke ab und kehren nicht mit der Erde um, wo sie doch glauben, dass mit der Sonne alles in Ordnung sei? Ja klar, damit am Ende alles gut ausgeht. Aber das wissen die doch nicht!
Es fällt wirklich schwer, dem Comic ein paar gute Seiten abzugewinnen. Wenn er wenigstens was fürs Auge bieten würde, so wie die Verfilmung von 2019, welche die bis dato größte Science-Fiction-Produktion Chinas darstellt. Doch weit gefehlt. Der Zeichenstil ist ziemlich grob, die Linienführung nicht akkurat und zuweilen nicht ganz durchgezogen. Das fällt vor allem bei künstlichen Strukturen wie Gebäuden und Raumschiffen negativ auf. Letztere sind extrem schlicht und sehen teils von vorne gänzlich anders aus als von hinten. Die Solarsonden wirken ebenfalls nicht wie funktionstüchtige Satelliten.
Das schicke Cover von Nicolas Vallet verspricht mehr als der Inhalt hält. Immerhin die Charaktere sind aber ganz gut geraten und verlieren nur bei kleineren Darstellungen im Hintergrund ihr Gesicht. Die Koloration lässt derweil kaum Wünsche offen. Die Farbverläufe sind weich, der Lichteinfall ist gut und es gibt ausreichend Leuchteffekte. Leider glänzen nur einige wenige Sterne, während die meisten in Form von hellen Farbklecksen daher kommen.
Fazit: Wandert eher auf Abwegen …
Wer eine tragische Familiengeschichte erwartet, wird mit dieser Comicadaption wohl gut bedient. Science-Fiction-Fans dürften hingegen auf ganzer Linie enttäuscht werden. Zwar gibt es durchaus auch Franchises mit Fantasy-Elementen, doch selbst Star Wars ist noch realistischer als Die wandernde Erde. Dieses Werk bemüht sich augenscheinlich um Glaubwürdigkeit, versagt dabei aber auf ganzer Linie! Bei einem gefeierten Autor, der mit internationalen Preisen überhäuft wird, wäre mehr zu erwarten gewesen.
Die grafische Umsetzung ist dabei noch weitgehend okay, doch vom Splitter-Verlag ist man durchaus Besseres gewohnt. Außerdem sollte das Lektorat etwas genauer hinsehen, denn es gibt ein paar Tippfehler. Immerhin die Verarbeitung ist wie immer hochkarätig, und dieser Band wartet sogar mit zwei ausklappbaren Großmotiven auf.
Info
Autor: Cixin Liu / Christophe Bec
Zeichner: Stefano Raffaele
Farben: Marcelo Maiolo
Verlag: Splitter
Sonstige Informationen: Produktseite
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