Samy Oeder hat Zeitzeugen befragt, wie diese die Entwicklung von Star Trek in Deutschland erlebt haben.
… wo schon oft ein Mensch zuvor gewesen ist
Mit Star Trek: Strange New Worlds setzt Paramount fort, was vor über einem halben Jahrhundert begann. Wir gehen mutig auf eine Reise in fremde alte Welten, erleben die Wiedergeburt eines Pop-Phänomens und blicken zurück auf über 50 Jahre Spock, Kirk und Enterprise.
Ein cooler Captain mit schicker Frisur, autoritär und charmant zugleich. Immer hat er einen flotten Spruch auf den Lippen und ein Lächeln im Gesicht, wenn eine Frau in Blickweite ist. Sein Kamerad: das genaue Gegenteil. Ein ruhiger, sachlicher Wissenschaftsoffizier mit spitzen Ohren, die ihn als Außerirdischen klassifizieren. Sein Name: Spock. Er legt selten Emotionen an den Tag und versteht oftmals die lässige Art seines Vorgesetzten nicht. Viele Szenen aus Paramounts neuer Sci-Fi-Serie Star Trek: Strange New Worlds basieren auf der Dynamik, die aus der Gegensätzlichkeit seiner zwei Haupt-Protagonisten entsteht. Aus pop-kultureller Sicht ist dies nichts Neues. Was in den späten Sechzigern funktionierte, soll auch heute wieder die Leute an die Fernsehgeräte fesseln. Mit Star Trek: Strange New Worlds, dem neuen Ableger aus dem Star Trek-Franchise, gibt es ein Wiedersehen mit der Enterprise, Spock und … Kirk … ja, Kirk auch, aber in erster Linie mit seinem Vorgänger Captain Christopher Pike. Pike, Spock, die Enterprise – seit fast einem halben Jahrhundert Mittelpunkt von zahlreichen Serien, Filmen, Spielen, Büchern, Comics und in kultureller Hinsicht aus unserer bekannten, alten Welt nicht mehr wegzudenken.
Die Reise beginnt
Seit vor über 50 Jahren zum ersten Mal Star Trek im amerikanischen Fernsehen zu sehen war, begeistern die aufregenden Geschichten, erschaffen von Gene Roddenberry, seine Zuschauer. 1972 kam Star Trek dann ins deutsche Fernsehen. Wie war das wohl, als damals diese neue, exotische Serie aus den USA zum ersten Mal im deutschen TV lief? Ich frage Fans der ersten Stunde. Helga Parmiter, Ilonka Liska und Wolfgang Ernst, erzählen mir, wie es war, damals Star Trek kennenzulernen.
„Ich war 9 Jahre alt, als 1972 die erste Folge im ZDF ausgestrahlt wurde“, erzählt mir Wolfgang (59), ein Fan der ersten Stunde. „Aus der Sicht eines Kindes war es ein phantastisches Abenteuer. Aus heutiger Sicht hat Gene Roddenberry eine Zukunft erschaffen, die uns in technischer Hinsicht teilweise schon eingeholt hat. Klappkommunikator, automatisch öffnende Türen usw.“
Helga, die 1972 im Alter von 9 zum ersten Mal Star Trek im Fernsehen sah, berichtet mir ihre Erinnerung an diese Zeit. „TOS (Anm.: Abkürzung für The Original Series) war etwas komplett Neues, das in fremde Welten entführte, die Fantasie anregte und auch ein wenig aus dem, doch recht strengen, mittelständischen Elternhaus entführte. Die Aufbruchstimmung der 70er, die gerade unter Jugendlichen in der Zeit herrschte, wurde beflügelt, und die Werte, die in TOS vermittelt wurden: Freundschaft, Zusammenhalt, Gleichheit, machten TOS zu einer fesselnden Erfahrung.“
Ein Spiegel seiner Zeit
Von vielen wird die Serie als Spiegel der Gesellschaft gesehen. Sie sorgt sowohl bei Fans als auch bei Kritikern auf Grund ihrer politischen und sozialkritischen Stellungnahme immer wieder für Aufsehen. Für Ilonka (57), die sich selbst als Humanistin bekennt, hatte die Serie einen sehr großen Einfluss auf ihr Leben. „Meine Mutter wollte uns humanistisch erziehen und hatte über Star Trek gelesen. Sie meinte, es würde gut zu unserer Erziehung passen. Tatsächlich bin ich durch Star Trek zur Humanistin geworden und versuche mein Leben nach Roddenberrys Visionen zu leben.“
„Selbstverständlich ist Star Trek ein Spiegel der Gesellschaft“, stellt Helga klar. „Genau das war ja Gene Roddenberrys Credo von Anfang an. Bei TOS ist diese Erkenntnis bei mir natürlich erst im Erwachsenenalter gereift, aber bei DS9 (Anmerk: Deep Space Nine – ein weiterer Ableger der Serie) war für mich ab der ersten Folge ein Bezug zur realen Welt und auch zu durchaus gesellschaftsbewegenden Punkten zu erkennen.“
Zwischen 1966 und 1969 entstanden 79 Episoden, die sich rund um Captain Kirk, Mister Spock und ihre Abenteuer an Bord des Raumschiffes Enterprise drehten. Als die Serie 1972 nach Deutschland kam, war sie in den USA bereits nach drei Staffeln abgesetzt worden. Was übrig blieb, waren zahlreiche Fans weltweit und deren Hoffnung auf weitere, neue Geschichten aus dem Star Trek-Universum. In welchem Maße diese Hoffnung erfüllt werden sollte, ahnte damals noch niemand.
Erstmal auf Impulsgeschwindigkeit
Nach einem nur mittelmäßigen Erfolg der Star Trek-Zeichentrick-Serie erlosch das Licht am Star Trek-Horizont, um nur fünf Jahre später zu einer hellen Supernova zu wachsen. 1979 durften sich die Trekkies (wie sich die Star Trek Fangemeinde selbst nennt) auf den ersten Star Trek-Kinofilm freuen. Allerdings teilen sich beim ersten Star Trek-Kinofilm die Meinungen. So sagt Wolfgang:
„So schlecht, wie viele Star Trek – The Motion Picture gemacht haben, fand ich ihn eigentlich nicht. Das Einzige, was ich schrecklich fand, waren diese Strampelanzüge, die sie als Uniform getragen hatten. Den Kostümbildner sollte man dafür noch nachträglich in die Arrestzelle werfen. Der zweite Film, Zorn des Khan, ist ja erst 1982 erschienen. Er ist zusammen mit Star Trek 4 mein absoluter Lieblingsfilm mit dem TOS-Cast.
Auch für Ilonka war Teil 4 ein Highlight. „Ich wollte die Kinofilme unbedingt sehen. Es würde mir meine Jugendhelden zurückgeben. Vor allem Film 3 und 4 haben es mir bis heute angetan. Da muss ich immer wieder weinen.“
Mit Star Trek – Der Film begann der erste von sechs Filmen, bei denen wir Kirk, Spock und Co auf der großen Leinwand erleben duften. „Ich war schon sehr aufgeregt, als die Kinofilme rauskamen – vor allem auf ein Wiedersehen mit Spock habe ich mich gefreut (ich war/bin glühende Spock-Verehrerin), und ich hoffte, die Geschichten der Serie würden quasi wieder auf der Leinwand aufleben“, sagt Spock-Fan Helga.
Keine goldenen Sterne in den 80ern?
Von 1979 bis zum letzten Kinoabenteuer 1991 wuchsen Fans mit den Geschichten ihrer Lieblinge Spock, Kirk und Co auf. Doch mit den Fans der ersten Stunde wurde auch die Besatzung der Enterprise älter und ging letztendlich mit ihrem letzten Abenteuer Star Trek 6: Das unentdeckte Land in den verdienten Ruhestand. Um Kirk und Spock wurde es ruhig. Es gab ein paar Gastauftritte in neuen Serien und Kinofilmen, aber sie betraten seither nie wieder die Brücke ihrer Enterprise. Bereits ein paar Jahre zuvor, im Jahre 1987, war mit Star Trek: The Next Generation auch schon die nächste Generation gestartet. Ein würdiger Ersatz für Fans der alten Garde?
Helga hatte Anfangs ihre Probleme mit der neuen Serie ohne Kirk und Spock. „Zu TNG (Anmerk.: Star Trek – The Next Generation) habe ich ewig lange keinen Zugang gefunden. Das lag zum Einem daran, dass ich, nach dem Tod von Spock in Teil 3, dem Franchise komplett den Rücken gekehrt hatte. TNG empfand ich damals als Verrat an TOS, und grade Data, der in meinen Augen nur ein erbärmlicher ,Abklatsch von Spock‘ war, konnte bei mir keinen Blumentopf gewinnen. Picard war mit seiner nahezu stoischen Art im Gegensatz zu Kirk für mich auch ein rotes Tuch.“
„Vermisst hatte ich TOS nicht so richtig. Es wurde ja immer mal wieder wiederholt“, sagt Wolfgang.
Das 2-Buddy-Problem
Selbstverständlich haben die „neuen“ Serien des Star Trek-Franchises letztendlich auch irgendwann ihren Weg in die Herzen aller Fans gefunden. Für viele war es aber genau diese explosive Kombination der Charaktere Kirk und Spock, die sie dabei vermissten.
Hierzu sagt Helga: „Das Gegengewicht, das die beiden zueinander bildeten – der eine mehr oder weniger purer Kopf, der andere mehr oder weniger pure Emotion – hat mir immer besonders gut gefallen. Dennoch waren sie durch eine tiefe Freundschaft miteinander verbunden und schafften es trotz aller Gegensätze irgendwie zu einem Konsens zu kommen – oft auch dank Dr. McCoy (Anmerk.: der Schiffsdoktor der Enterprise).“
Für Wolfgang basiert die Dynamik zwischen Kirk und Spock ganz klar auf einer echten Männerfreundschaft. „Mit Kirk hat man einen starken, manchmal etwas impulsiven und draufgängerischen und trotzdem umsichtigen Kommandanten. Mit Spock hat man einen vermeidlich kalten, von Logik erfüllten, lebenden Computer. Zusammen geben Sie ein nahezu perfektes Team ab“, sagt Wolfgang, bis heute noch regelmäßiger Besucher von Star Trek-Conventions.
Und obwohl die neuen Serien sich über immer mehr Fans und Liebhabern freuen konnten, fehlte es für einen Erfolg an der großen Kinoleinwand an genau diesen beiden dynamischen Charakteren. Und so feierten Kirk und Spock 2010 ihre Rückkehr im ersten Star Trek-Kinofilm nach fast 10 Jahren. Für den Film mit dem einfachen Titel Star Trek schlüpften neue, junge Schauspieler in die Rollen der bekannten Helden aus der Original-Serie. Ist das nicht Blasphemie?
Auch Helga zeigte sich Anfangs sehr skeptisch. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und insofern war ich bei der Ankündigung des Reboots erstmal alles andere als begeistert. Die wohlbekannten Gesichter/Rollen sollten anders besetzt werden? Und das sollte funktionieren??? Aber der erste Film kam, ich sah, und er siegte auf der ganzen Linie! Modern, frisch – und die Rollen grandios besetzt und vor allem umgesetzt!“
Bei vielen Fans kommt das Reboot aus dem Jahre 2010 und die zwei darauffolgenden Filme bis heute nicht an. Der Markt ist, zu dieser Zeit, einfach zu übersättigt von alten Ideen, die aufgewärmt werden. Es scheint, als hätten Autoren und Filmemacher keiner Ideen mehr für neue Geschichten. Außerdem sind viele Fans verwirrt von der neuen Zeitlinie, der sogenannten Kelvin-Timeline, welche der Film erfindet, um Widersprüche in der Handlung in Bezug auf die alte Serie zu umgehen.
„Die Filme aus der Kelvin-Zeitlinie haben mich eher überrascht“, sagt Ilonka. „Richtige Freude kam dabei allerdings nicht auf, da ich bis heute den Sinn einer neuen Zeitlinie nicht verstanden habe. Die Filme waren aber gut, wenn auch sehr action-lastig. Trotzdem konnte man auch hier Roddenberrys Vision finden. Man musste nur genau hinsehen.“
Durch leeren Raum
Es vergehen viele Jahre, in denen es, außer in Buchform, keine weiteren Geschichten aus dem Star Trek-Universum gibt. Das Franchise scheint komplett tot zu sein. Die Zeit ohne Star Trek – für Fans der ersten Stunde, wie Ilonka, undenkbar.
„Für mich ist das Franchise – vor allem Spock – eine mentale Stütze und ein Leuchtfeuer. Ich bin Humanistin geworden und versuche, Roddenberrys Visionen im echten Leben umzusetzen. Ohne Star Trek würde mir ein Leitfaden für mein Leben fehlen.“
„Star Trek begleitet mich nun seit 51 Jahren. Ein Leben ohne? Schwer vorstellbar“, sagt Wolfgang. „Allerdings: Man kann nicht vermissen, was man nicht kennt. Aber das Leben ohne wäre ärmer. Man müsste es neu erfinden.“
Die Reise in ferne Galaxien mit der Enterprise, Roddenberrys Philosophie und ein Halt für zahlreiche Menschen auf der ganzen Welt – alles vorbei? Nimmt die Geschichte tatsächlich ein solch trauriges Ende? Jahrelang konnte diese Frage niemand beantworten.
Und auch als im Jahr 2017 mit Star Trek: Discovery die neue Serie veröffentlicht wurde, konnten Fans weltweit diese Frage immer noch nicht beantworten. Vielen war diese neue Serie zu rasant und melancholisch. Viele waren von seiner Diversität abgeschreckt. Dabei war es genau diese Diversität, die Star Trek immer ausgemacht hat. Wolfgang bringt es auf den Punkt: „In gesellschaftlicher Hinsicht ist einiges von Star Trek erreicht worden; wie Frauen in Führungspositionen, was damals noch fast undenkbar war. Einiges ist bedauerlicher Weise noch nicht in dem Maße umgesetzt worden, wie alle Menschen sind gleich, ungeachtet der ethischen Herkunft, Religion oder Hautfarbe.“
Star Trek: Discovery geht, nach einer letzten Staffel, die 2024 anläuft, leider nicht mehr in die Verlängerung. Zu melancholisch war der Ton der Serie. Zu deutlich war das Spiegelbild, welches uns diese Zukunftsvision zeigte.
„Allerdings wird es in der realen Welt noch sehr lange dauern, bis wir Roddenberrys Visionen in der Realität leben. Der aktuelle Krieg in der Ukraine zeigt, dass wir noch weit davon entfernt sind.“ Wahre Worte von Humanistin Ilonka. Aber der hohe Preis der Wahrheit ist leider, dass sie manchmal nur sehr wenige Menschen hören wollen. Es muss wohl einfach den Zeiten, in denen wir leben geschuldet sein, dass Star Trek: Discovery nicht so gut ankam und letztendlich auch abgesetzt wurde.
Eine neue Ära bricht an
Aber es gibt einen Streifen am Star Trek-Horizont und eine neue Hoffnung für Fans der alten Schule. Die aktuelle Star Trek-Serie Strange New Worlds geht wieder ganz klar dahin, wo schon oft ein Mensch zuvor gewesen ist, und mit Captain Christopher Pike und einem neuen Spock fühlt sich das ganz an wie die Rückkehr zu den Star TrekWurzeln.
Auch Humanistin Ilonka gefällt der neue, alte Ton der Serie: „Zwar war es anfangs gewöhnungsbedürftig, Spock mit Bart zu sehen, aber als die Geschichte sich entwickelte, konnte man es verstehen. Jetzt spielt sie in Strange New Worlds und die Konstellation ist entwicklungsfähig. Es ist eine beginnende Freundschaft und noch nicht so innig wie in TOS. Da gibt es noch viel Potential.“
Was die neue Serie absolut richtig macht, ist, dass sie der alten Serie zwar ihren Tribut zollt, dabei aber in keiner Weise wie eine billige Kopie wirkt und immer so originell wie möglich bleibt. Die Chemie zwischen Pike und Spock ist zwar nicht dieselbe wie die zwischen Kirk und Spock, aber sie ist ähnlich, anders, erfrischend anders.
„Anson Mount als Pike ist großartig und die Konstellation von Una, Spock und Pike wunderbar umgesetzt“, sagt Wolfgang.
Staffel 1 und 2 sind mittlerweile schon durch und einer dritten Staffel steht nichts im Wege.
Der Himmel ist das Limit
Über 50 Jahre hat Star Trek bereits auf dem Buckel … und es ist noch kein Ende in Sicht. Das Franchise ist grade dabei, sich neu zu formieren, um auch weiterhin sowohl alte Fans wie Helga, Wolfgang und Ilonka als auch neue, junge Trekkies in ihren Bann zu ziehen. Sicher ist eines: Star Trek wird definitiv in die nächsten Runden gehen. Das Universum, welches einst Gene Roddenberrys Geist entsprang, erblüht heute in neuem Glanze und es blüht bunter, denn je!
Ich bin mir sicher, dass Star Trek uns auch in Zukunft weiter daran teilhaben lässt, neue Welten zu erkunden, neues Leben und Zivilisationen zu suchen und mutig dorthin zu gehen … wo – mittlerweile schon ziemlich oft – ein Mensch zuvor gewesen ist.
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