Während Jules Verne und H. G. Wells weltberühmt sind, ist Kurd Laßwitz nahezu unbekannt. Der Grund dafür ist der stiefmütterliche Umgang mit dem Vater der deutschen Science-Fiction.
Wer war Kurd Laßwitz?
Kurd Laßwitz wurde am 20. April 1848 in Breslau geboren. Er studierte Mathematik und Physik, zunächst in seiner Heimatstadt, später in Berlin. Nach seiner Promotion im Jahr 1873 legte er außerdem das Staatsexamen für den höheren Schuldienst in den Fächern Mathematik, Physik, Geographie und Philosophie ab, was ihm eine Anstellung als Lehrer am Gymnasium Ernestinum in Gotha ermöglichte. Dorthin siedelte er 1876 über.
1884 war Laßwitz Mitbegründer der bildungsbürgerlichen Mittwochsgesellschaft zu Gotha. Im gleichen Jahr wurde er zum Gymnasialprofessor ernannt und zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt. 1909 erfolgte schlussendlich seine Ernennung zum Hofrat.
Seine Autorentätigkeit begann er parallel bereits während seines Studiums. Seine erste Veröffentlichung Bis zum Nullpunkt des Seins erschien 1871. Laßwitz‘ Hauptwerk Auf zwei Planeten wurde 1897 publiziert. Darin beschrieb er den Erstkontakt zu den Marsianern und obgleich er sich bei der Lebensfreundlichkeit unseres Nachbarplaneten irrte, war der Roman in vielerlei Hinsicht wegweisend.
So ließ Laßwitz seine Kenntnisse der Physik einfließen und beschrieb u. a. die Möglichkeit, Sonnenenergie in elektrischen Strom umzuwandeln. Der photoelektrische Effekt wurde zwar schon 1839 vom französischen Physiker Alexandre Edmond Becquerel (*1820, †1891) entdeckt, doch bis zur Erfindung der ersten Solarzelle sollte nach Erscheinen von Laßwitz‘ Roman noch über ein halbes Jahrhundert vergehen.
Neben Vorhersagen zukünftiger Technologien besticht Auf zwei Planeten vor allem durch seine gesellschaftskritischen Untertöne. Die Marsianer sind der Menschheit nicht nur technologisch, sondern auch zivilisatorisch überlegen. Zwischen den einzelnen Marsnationen, die verschiedene Gesellschaftsmodelle repräsentieren, gibt es vorwiegend gegenseitigen Respekt und Harmonie, während sich die Menschheit in Kriegen bekämpft.
Man merkt seinen Werken insgesamt an, dass Kurd Laßwitz Philosoph und Pazifist war. Allerdings lehnte er die Einladung Bertha von Suttners (*1843, †1914) ab, die Friedensbewegung aktiv zu unterstützen. Auch sonst beschränkte er seine politischen Ansichten auf seine Literatur und widmete sich im realen Leben lieber den Naturwissenschaften. In seinen Kurzgeschichten hat er immer wieder Charaktere eingeflochten, die wie er Physiker oder Lehrer waren. Für diese Berufe malte er sich mögliche Entwicklungen aus, die heute gar nicht mehr so futuristisch sind. In Die Fernschule sagte er z. B. das Homeschooling voraus.
Leider wurde Kurd Laßwitz nicht allzu alt. 1908 wurde er nach einem Schlaganfall in den Ruhestand versetzt und am 17. Oktober 1910 verstarb er schließlich im Alter von 62 Jahren. Am Gymnasium Ernestinum erinnert bis heute eine Gedenktafel an den „Naturwissenschaftler und utopischen Schriftsteller“. Außerdem sind ein Literaturpreis sowie ein Literaturstipendium nach ihm benannt. Im Weltraum gelangte er ebenfalls zu Ehren, als am 7. April 2005 ein bereits 1977 entdeckter Asteroid im inneren Hauptgürtel nach ihm benannt wurde.
Ein Stipendium, das seinen Namen nicht verdient
Das Kurd-Laßwitz-Stipendium wird seit 2008 von der Stadt Gotha vergeben. Allerdings sollten sich Science-Fiction-Autoren keine Hoffnung darauf machen. Ausgeschrieben ist es für Kinder- und Jugendliteratur. Das ist absolut unverständlich, da sich Kurd Laßwitz‘ Werke überwiegend an eine erwachsene Leserschaft richten. Vor allem für Kinder sind seine Werke viel zu komplex und wissenschaftlich. Wenn die Stadt Gotha explizit Kinder- und Jugendbuchautoren fördern möchte, hätte das Stipendium besser nach Erich Kästner benannt werden sollen.
Man wird den Eindruck nicht los, die Verantwortlichen hätten sich einfach den bekanntesten Gothaer Schriftsteller herausgegriffen, ohne sich auch nur im Mindesten mit ihm zu beschäftigen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass das Genre der Science-Fiction kategorisch von der Vergabe des Kurd-Laßwitz-Stipendiums ausgeschlossen wird. Ebenso wird es vorzugsweise an auswärtige Schriftsteller*innen vergeben. Mit anderen Worten: Würde Kurd Laßwitz heute noch leben, hätte er null Chancen, das nach ihm benannte Stipendium zu erhalten. Das ist einfach nur absurd!
Das vorläufige Scheitern der Kurd-Laßwitz-Con
Für den 16. Mai 2020 war die erste Convention zu Ehren von Kurd Laßwitz geplant, welche das Ziel hatte, den Vater der deutschen Science-Fiction bekannter zu machen. Die Veranstaltung wurde komplett im Ehrenamt in Kooperation mit der Stadtbibliothek Heinrich Heine organisiert, auf deren Gelände sie stattfinden sollte. Alle Tische waren bereits an Verlage, Autoren und das Gothaer Trek-Dinner vergeben. Namhafte Laßwitz-Kenner waren für Vorträge gebucht, das Programm war fertig und ein erster Flyer bereits gedruckt. Doch dann kam Corona.
Mit dem ersten Lockdown musste die Convention abgesagt werden und als die Pandemie immer größere Ausmaße annahm, wurde klar, dass es auch keinen Ersatztermin geben würde. Das ist vor allem deshalb bitter, da die Verantwortlichen einen Großteil ihrer Freizeit in das Projekt gesteckt hatten und schlussendlich alle eingeladenen Gäste vertröstet werden mussten.
Da es inzwischen eine Impfung gibt und Veranstaltungen zumindest über den Sommer unter 2G-Regeln wieder möglich sind, wäre nun zu überlegen, einen Neustart der Kurd-Laßwitz-Con zu wagen. 2023 wäre eine perfekte Gelegenheit, da in dem Jahr der 175. Geburtstag des Autors ansteht. Eventuell hat sich bis dahin sogar die Pandemielage so weit beruhigt, dass ein solcher Event wieder unter normalen Bedingungen stattfinden könnte.
Wenn es einen Neustart der Kurd-Laßwitz-Con geben soll, müsste dieser abermals komplett im Ehrenamt organisiert werden. Die Chancen, ein Stipendium für das Projekt zu bekommen, stehen denkbar schlecht, da Science Fiction generell einen schlechten Stand in der Gesellschaft hat.
Science-Fiction unerwünscht
Das Problem wurzelt in Deutschland weitaus tiefer. Obwohl es auch hierzulande Millionen Sci-Fi-Fans gibt und sich längst Großveranstaltungen wie die FedCon oder diverse Comic- und Mangamessen etabliert haben, wird das gesamte Genre von vielen Kulturinstitutionen verächtlich gemacht, wo es nur geht. Fans und Autoren werden herablassend als Nerds und Spinner hingestellt, die an Außerirdische glauben.
Während die USA und Großbritannien langlebige Franchises wie Star Trek, Star Wars, Doctor Who usw. hervorgebracht haben und sogar in China Sci-Fi-Autoren wie Cixin Liu große Erfolge feiern, herrscht in Deutschland finsterstes Mittelalter. Über alles, was nur annähernd nach Zukunft riecht, rümpfen die meisten Jurys abfällig die Nase. Gefragt scheinen dagegen Liebesschmonzetten, Krimis, Heimatliteratur und Kinder- sowie Jugendbücher zu sein.
Als Science-Fiction-Autor braucht man sich kaum Hoffnung auf Stipendien oder Preise zu machen. Ausgenommen sind natürlich der Deutsche Phantastik Preis sowie der undotierte Kurd-Laßwitz-Preis, der seit 1980 vergeben wird. Was dagegen nicht explizit für Science-Fiction ausgeschrieben ist, wird nur selten an selbige verliehen. Science-Fiction wird routinemäßig abgelehnt! Ausgenommen sind höchsten Krimis oder Thriller, die in naher Zukunft spielen und die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz sowie Big Data zeigen. Hauptsache, es kommen keine Aliens oder Zeitreisen vor.
In Deutschland gibt es eigentlich nur zwei Wege, um als Sci-Fi-Schriftsteller*in erfolgreich zu sein. Entweder man fängt bei der langlebigsten deutschen Sci-Fi-Reihe Perry Rhodan an oder man macht sich im Fandom einen Namen und übersetzt vorrangig ausländische Werke von international bekannten Autoren bzw. für angesagte Franchises wie Star Trek oder Star Wars. In diesen Fällen kann man mitunter sogar von seiner Autorentätigkeit leben. Wer sich dagegen mit eigenen Ideen etablieren möchte, hat es schwer. Der Markt ist gigantisch und der Mainstream gegenüber Science-Fiction gnadenlos.
Das mag jetzt alles zynisch und verbittert klingen, dürfte jedoch vielen Schriftsteller*innen sehr vertraut vorkommen. Wer dennoch eine Karriere als Sci-Fi-Autor einschlagen möchte, sollte dringend in ein Land auswandern, in dem Science-Fiction geschätzt wird. Andernfalls endet man wie Kurd Laßwitz an der Endstation Vergessenheit. Unter allen anderen weltbekannten Größen wie Jules Verne, H. G. Wells, Isaac Asimov, Arthur C. Clarke, Philipp K. Dick, Douglas Adams, Stanislav Lem bis Cixin Liu finden sich nicht ohne Grund kaum deutsche Namen.
Hierzulande wurde mit Raumpatrouille Orion sogar die einzig nennenswerte TV-Serie nach nur 7 Episoden abgesägt, weil sie nur (!) knapp 50 % Einschaltquote hatte. Ausnahmetalente wie Roland Emmerich sind derweil nach Hollywood ausgewandert. Moon 44 drehte er noch in Deutschland, doch Filme wie Stargate oder Independence Day wären hierzulande nicht umsetzbar gewesen. In dem Bereich gibt es also auch keine Stellen für Kreative zu vergeben.
Drehbuchautoren werden in Deutschland vorrangig für Krimi- und Krankenhausserien sowie 0-8-15-Fremdschämkomödien gebraucht. Science-Fiction-Elemente gab es zuletzt noch in bayrischen Softpornos aus den 1970ern, die heute bei Schlefaz laufen. Wer als Sci-Fi-Schriftsteller*in seinen Lebensmittelpunkt hier behalten möchte, muss sich also damit abfinden, alles für lau im Ehrenamt oder als Hobby zu machen.
Wer hingegen erfolgreich sein möchte, muss schon Mainstreamliteratur für ein anderes Genre schreiben. Oder irgendwas Vulgäres aus den Feuchtgebieten der Geschmacklosigkeit. Die höchstdotierten Preise sind dabei nicht selten denen vorbehalten, die viel reden können, ohne was zu sagen. Das kennt man ja auch aus der Politik. Wenn es dann noch akademisch klingt, damit es die breite Masse nicht versteht, umso besser. In der modernen Kunst ist das nicht anders. Viele talentierte Maler kommen ebenfalls auf keinen grünen Zweig, während Farbkleckse, die ein Elefant mit seinem Rüssel auf die Leinwand geschnäuzt haben könnte, für Millionenbeträge gehandelt werden.
Was würde Kurd Laßwitz dazu sagen?
Wenn Kurd Laßwitz heute noch leben würde, wäre er wohl entsetzt, sowohl über den Umgang mit seiner Person als auch mit der Science-Fiction im Allgemeinen. Besonders beschämend ist dabei die Ignoranz, die ihm in Thüringen und Gotha entgegengebracht wird. International gesehen wäre Laßwitz hingegen sicherlich begeistert von der heutigen Fülle an Science-Fiction in Literatur, Kinofilmen und TV-Serien. Zumindest eine wachsende Fangemeinschaft kann dabei auch in Deutschland verzeichnet werden. Es wird Zeit, dass diese Kurd Laßwitz für sich entdeckt und entsprechend würdigt. Wenn wir Sci-Fi-Nerds uns nicht an seinen Namen erinnern, wird es sonst niemand tun!
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Der Umgang der Deutschen mit dem Genre SF verweist auf ein tiefer liegendes Merkmal der hiesigen Gesellschaft, die alles, was irgendwie visionär erscheint, als potentiell kritisch und somit als gefährlich einstuft, daher auch die Abwertung zur Kinderliteratur, die Einstufung als Spinnerei, als nicht ernst zu nehmende Quatsch- bzw sogar Schundliteratur.
Vergleichbares gibt es übrigens in den Bereichen Chanson, Comics, Jazz. Es zeigt sich darin eine ziemlich tief verwurzelte Kunstfeindichkeit, die m. E. auf einer Angst vor Produkten wirklich innovativer Kreativität beruht, nicht nur als Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung sondern auch der allgemein eher biederen individuellen Lebenseinstellung. Den Deutschen machen innovative Gedanken Angst. Sie wehren sich mit Entwertung.
Ich kann zu dem obigen Artikel nur sagen: Danke, spricht mir aus der Seele, und wirft ein Licht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur zur Entstehungszeit von „Auf zwei Planeten“, sondern bis in die aktuelle Zeit, in der leider immer noch dieselben Mechanismen aktiv sind wie damals.