Mit Spannung haben alle die zweite Folge des Serienauftaktes erwartet. Schafft es Jean-Luc wieder, uns vom Hocker zu reißen?
Das Gefühl ist zurück. Jede Woche wird der Freitag herbeigesehnt. Jede Woche gibt es eine neue Folge Star Trek Picard. Dieser Hype hat mich wieder in seinen Bann gezogen. Der alte Mann entwickelt eine Faszination wie kaum eine andere Serienfigur. Wie es nach dem Serienauftakt Gedenken weitergeht, zeigt uns die zweite Folge Karten und Legenden.
Der Inhalt
Die zweite Folge der ersten Staffel von Star Trek Picard beginnt inhaltlich mit einem Rückblick. Es zeigt uns, wie 14 Jahre vor der Haupthandlung das Unglück um die Utopia Planeta Flottenwerft auf dem Mars seinen Lauf genommen hat. Das kurze Zeit später verbotene synthetische Leben bekommt mit F8 ein unterhaltsames Gesicht. In bester Data-Manier schafft es der Android (Alex Diehl), das Zusammenleben und Arbeiten zwischen Menschen und Androiden zu charakterisieren. Leider entpuppt er sich als einer der Auslöser der Zerstörung der Werften. Im krassen Gegenteil zu seiner anfänglichen Pinocchio-Art tötet er erst einige der menschlichen Ingenieure und nachdem er das Unglück ins Rollen gebracht hat sich selbst.
Obwohl dieser Rückblick einen Weg vom flappsigen Umgang mit der Thematik „synthetisches Leben“ und der erbarmungslosen Gewalt einer Tötungsmaschine beschreibt, war das ein fehlendes Element des Serienauftakts und für viele Zuschauer ein großer Kritikpunkt.
Die weiteren Handlungsstränge von Karten und Legenden verwenden im Anschluss dazu nun ihre Zeit darauf, die richtige Ausgangsposition für das anstehende Abenteuer herzustellen. Neben der Charakterexposition entwirrt sich die Handlung und schafft es, eine offensichtliche Einteilung in Gut und Böse zu schaffen. Auf der einen Seite findet man am Ende einen hochmotivierten Jean-Luc mit seinen Anhängern und auf der anderen Seite die romulanische Gruppe, deren genaue Herkunft und Ziel nicht ganz so offensichtlich ist.
Darüber hinaus schafft es Karten und Legenden viele kleinere Informationen unterzubringen, die einem das Gefühl vermitteln, später noch eine Relevanz zu entwickeln. Das wird teilweise in eigenen Szenen verwirklicht, wie im Gespräch von Jean-Luc mit seinem alten Schiffsarzt der Stargazer oder aber im Kleinen, so zum Beispiel in Halbsätzen, die Laris und Zhaban fallen lassen. Das gibt der Erzählung das Gefühl von Tiefe und als Zuschauer lässt es mich persönlich immer nach Details suchen.
Durch den Verzicht auf große Action und den Fokus auf Dialoge werden die Charaktere filigran vertieft. Motivationen werden deutlicher. So schafft man es im Fall von Jean-Luc Picard, eine persönliche Quest zu entwickeln, die tief in der Star Trek Lore verwurzelt ist. Auf der Gegenseite entsteht um die romulanische Verschwörung eine politische Geschichte, die umfassend wirkt.
Die zu Beginn noch gesichtslosen romulanischen Agenten bekommen in Karten und Legenden Identifikationsfiguren und eine Motivation spendiert. Zwar scheint man sich von der romulanischen Doppelzüngigkeit auch im Narrativ leiten zu lassen, trotzdem wird ein Ziel der Geheimorganisation angedeutet. Alles wirkt wie eine Vermutung, genaue Informationen bleiben auch hier noch im Dunkeln.
Wenn man aufseiten der Handlung etwas kritisieren möchte, dann fällt dies leicht. Zugunsten der Exposition und der Vorbereitung scheint man das Tempo zu vernachlässigen. Ständig dachte ich mir: „Wann schnappt er sich ein Schiff und eine Crew und zieht los?“ Vielleicht ging es da nur mir so. Für meinen Geschmack hätte man da ein wenig mehr zeigen können und vielleicht die eine oder andere Dialogszene kürzen können. Es bleibt für mich zu hoffen, dass man sich nicht zu sehr in einem langsamen Kammerspiel verliert und die Rakete irgendwann auch mal starten lässt.
Die Besonderheiten
Viele der erwähnenswerten Details von Karten und Legenden gehen im Einklang mit der bewusst langsamen Erzählweise. Hier gibt es für Autoren und Regie genug Raum, um Interpretationsansätze anzubieten und dem Zuschauer teilweise auch auf die Nase zu binden.
Dies beginnt bereits im Rückblick auf den Mars. Dort zeigt sich neben den sehr sympathischen Frotzeleien auch das gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Android. Es bestehen Vorbehalte und Bedenken gegenüber den synthetischen Lebensformen, teilweise auch in offenem Misstrauen. Auch wenn uns die TNG Folge The Measure of a Man / Wem gehört Data? die grundlegend progressive Einstellung Einzelner gegenüber des synthetischen Leben zeigt, scheint die Allgemeinheit dies nicht zu teilen.
Dr. Jurati (Alison Pill), die auf Château Picard durch die gesammelten Roboter-Geschichten von Isaac Asimov durchblättert, um dann Jean-Luc zu einem Kommentar zu Science-Fiction in Richtung der Fans verführt, vertieft den Eindruck, dass die Erschaffer dieser Geschichte viel Wert darauf legen, ihr Leitmotiv zu verdeutlichen.
Diese Details und das Augenmerk auf das Hauptthema, salopp gesagt: „Was darf Leben sein, Mensch oder auch Maschine?“, wird für Patrick Stewart auf einer persönlichen Ebene entwickelt. Er muss seinen verstorbenen Freund, der sich für ihn, sein Schiff und die Sternenflotte, die das alles verraten hat, geopfert hatte, diesen letzten Dienst erweisen. Er will nicht nur seine Nachkommen (in Form von Dahj und Soji Asha) bewahren, sondern auch sein Vermächtnis verteidigen, welches in der Entscheidung über seinen Status als Lebewesen in The Measure of a Man / Wem gehört Data? begann.
Der Umgang der Romulaner mit synthetischem Leben und die Dinge, die über Tal Shiar und Zhat Vash angedeutet werden, vor allem durch Laris, Zhaban und Kommodore Oh, schließt diesen Kreis. Der Eindruck liegt nahe, dass der Umgang mit künstlicher Intelligenz in der romulanischen Gesellschaft eine tiefe Ursache haben muss. Doch hier werden wir genau wie Jean-Luc vorerst im Dunkeln gelassen.
Das sollen nur einige Beispiele für meine Auslegung der Geschichte sein, darüber hinaus lassen sich noch viele weitere Details finden. Jeder Zuschauer wird von den Machern eingeladen zu suchen und auch zu finden. Das wirkt für meinen Geschmack aber alles etwas gewollt und zu plump. Asimovs Roboter-Geschichten in die Kamera zu halten, ist für mich etwas anderes als dezent. Hier habe ich das Gefühl, dass man dem Zuschauer zu Zeiten von TNG, zum Beispiel in der Folge The Measure of a Man / Wem gehört Data, mehr zugetraut hat. Insgesamt fühle ich mich damit als langjähriger Fan wahrgenommen, leider wirkt es aber gleichzeitig etwas bemüht.
Visuelles und Audio
Der Look der ersten Folge wird in Karten und Legenden fortgeführt. Neben der modernen Farbgebung und Kameraführung werden vor allem der Dialog und die Character-Shots geschmackvoll weitergeführt. Gerade Dialogszenen bleiben dabei in begrenzten Räumen. Die altbekannte Walk-and-Talk-Methode, die noch in Discovery häufig genutzt wurde, scheint der Vergangenheit anzugehören. Das hilft den Dialogen stark zu wirken.
Kamerafahrten zu jedem Szenenwechsel und bei Ortswechseln helfen mir immer bei der Orientierung. Diese Vistas ähneln den Einstellungen der ersten Folge leider zu stark. Der zeitgemäße Look der Zivilbekleidung des 24. Jahrhunderts lassen die Charaktere realer wirken. Das Design der Sternenflottenuniformen ist für meinen Geschmack, sehr gelungen, wirkt hochwertig und detailverliebt.
Schnitte sind zurückhaltend platziert, es wirkt unaufgeregt. Die im Prinzip von Schnitt und Gegenschnitt realisierten Dialoge wirken immer inhaltlich orientiert und lassen den Schauspielern viel Platz zum reagieren.
Der Einsatz von Sounds und Musik ist ebenso gelungen. Vor allem das TNG Intro Thema hat mich überrascht und mir ein angenehmes Gefühl vermittelt. Die Sounds passen wie gewohnt zur beabsichtigten Wirkung. Sie unterstützen die geheimnisvollen Romulaner und die Bedrohlichkeit des Borg-Artefakts. Alles in allem ist hier wenig zu bemängeln.
Die Schauspieler
Die Verkörperung der Charaktere funktioniert durch die hohe Dichte an Dialogen wieder fantastisch. Neben den gesprochenen Inhalten ist auch auf Seiten der nonverbalen Anteile viel Tolles dabei. Zwei Rollen stechen für meinen Geschmack besonders heraus. Die energische Romulanerin Laris (Orla Brady) bekommt in Karten und Legenden wesentlich mehr zu tun und auch mehr Tiefgang. Ihre resolute Art funktioniert fantastisch im Zusammenspiel mit Jean-Luc (Patrick Stewart) und Zhaban (Jamie McShane). Zwar bekommt Alison Pill als Dr. Agnes Jurati vor der Kamera weniger zu tun, jedoch gefällt mir ihr Schauspiel in diesen wenigen Momenten sehr.
Ausfälle nach unten sind mir nicht aufgefallen. Isa Briones und Harry Treadaway funktionieren als Soji und Narek ebenfalls sehr gut zusammen, auch wenn ich mir hier erhoffe, dass gerade Isa Briones die Chance bekommt, ein bisschen Kontrast zwischen Dahj und Soji einbringen zu können.
Tamlyn Tomita (Kommodore Oh) und Peyton List (Lt Narissa Rizzo) finde ich richtig schön evil und eklig, das sind Star Trek Bösewichte nach meinem Geschmack. Michelle Hurd (Raffi Musiker) war mir leider irgendwie unsympathisch, da sie aber noch nicht wirklich etwas zeigen konnte, warte ich da erst noch ab.
Das Fazit
Wöchentliches Star-Trek-Schauen und die gesamten Begleiterscheinungen machen es für mich schwer, eine objektive Bewertung zu Karten und Legenden abzugeben. Der Hype und das Mitfiebern machen mich nachsichtig und euphorisch für jede Szene. Mit dieser Prämisse muss ich sagen, dass ich hier wenig zu meckern habe. Wenn man einen Schritt zurückgeht, fällt auf, dass die zweite Episode eine logische Weiterentwicklung der ersten darstellt. Das was in Gedenken beginnt, wird in Karten und Legenden konsequent weitergeführt. Das bedeutet leider auch, dass die Episode denjenigen nicht gefallen wird, die schon die erste nicht gut fanden.
Ich muss sagen, dass es nach meinem Geschmack spätestens in Folge 3 zur Sache gehen darf und die Handlung an Tempo aufnehmen sollte. Wenn wir am Freitag wieder „nur“ Exposition um die Ohren gehauen bekommen, würde dies die Karten und Legenden im Nachhinein abwerten.
Wir stehen an einem hervorragenden Ausgangspunkt, um jetzt zu starten. Die geheimnisvollen Romulaner scheinen würdige Antagonisten zu sein. Badmirals sind ein nicht enden wollender Quell der Rechtschaffenheit für Star-Trek-Protagonisten auf der Suche nach Gerechtigkeit. Leider bleibt das „Science“ in „Science-Fiction“ hier wieder Nebensache, einige Lösungen sind mir zu weit hergeholt (Laris’ Ermittlungen in Dahjs Wohnung). Echte coole Erklärungen bleiben aus, das ist schade.
Da man die Stärken aus Folge 1 weiter ausgebaut und der Geschichte einiges an Tiefe hinzugefügt hat, muss ich der Folge eine 13 von 15 geben. Das sind aber Vorschusslorbeeren und muss in Folge 3 durch echte Fortschritte in der Gesamthandlung bestätigt werden.
Eines noch: Hört bitte auf mit dem Earl Grey Gag. Der hat es hinter sich. Noch ein paarmal und es beginnt zu nerven.
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