Die erste Episode „Gedenken“ des brandneuen Star Trek: Picard ist erschienen. Schauen wir doch mal, ob es der alte Mann noch draufhat.
Ein alter Freund
Seit der ersten Verlautbarung, dass es eine neue Serie um meinen Lieblingscaptain des Star Trek Universums geben wird, bin ich in einem Limbo gefangen. Ich wusste nie so recht, wie ich mich fühlen soll. Sollte ich mich freuen und stark investieren, nur um am Ende an der Interpretation des aktuellen Jahrzehnts zu verzweifeln? Sollte ich mich lieber heraushalten und die TNG so stehen lassen, wie sie mit Nemesis in 2002 endete? Oder sollte ich einfach versuchen, gelassen in die Serie zu starten, um meine eigene Meinung nicht vor Beginn der ersten Staffel zu bilden. Am Ende habe ich mich für die letzte Variante entschieden, gelassen das zu erwarten, was da auf uns zukommt.
Wenn man sich heute nach Veröffentlichung der ersten Episode von Star Trek: Picard so umschaut, gibt es alle drei Meinungen im Fandom. Viele zeigen sich enttäuscht aufgrund abweichender Wünsche und Vorstellung wie Jean-Luc Picard in 2020 funktionieren könnte. Andere weigern sich, dem Captain, der sie durch ihre Adoleszenz begleitete, neue Facetten hinzuzufügen. Wieder andere sind offen gegenüber neuen Ideen und Ansätzen.
In meiner Brust schlagen zwei Herzen und ich kann die Euphorie und Skepsis nachvollziehen. Dass Jean-Luc Picard heute keinen Platz mehr in Star Trek hat, bleibt mir fremd.
Die Handlung
Im Chateau Picard leckt der ehemalige Admiral Jean-Luc Picard seine Wunden und ist noch immer zutiefst verletzt, auf einer persönlichen aber auch universellen Ebene. Von seinen Dämonen gejagt, zweifelt er, ob es in dieser Welt noch einen Platz für ihn gibt. Da entfalten sich in seinen Träumen und durch sein Interview im FNN zum Jahrestag der Supernova der Sonne des romulanischen Systems neue Verschwörungen und dunkle Machenschaften. Zum gleichen Zeitpunkt in Greater Boston treffen wir die junge Studentin Dahj bei einer Feier mit ihrem Freund. Doch die Zweisamkeit währt nicht lang, da die beiden recht schnell von Attentätern überfallen werden. Nach dem kaltblütigen Mord an ihrem Freund tötet die junge Frau in einer Art Trance die Attentäter und flieht. Auf der Flucht schnappt sie Teile des FNN-Interviews von Picard auf und folgt einer Vision, die ihr den gealterten Admiral zeigt.
Als die gejagte Dahj auf den Ländereien der Familie Picard wie auf einer einsamen Insel strandet, wirkt das auf Jean-Luc wie ein Erwachen. In seiner unvergleichlichen Art zeigt uns Patrick Stewart seine fürsorgliche und väterliche Natur. Nachdem er die Umstände ihrer Flucht erfahren hat, schaltet sich Picard in die Vorgänge ein. Schnell kommt er darauf, dass es sich bei Dahj um eine Art der mittlerweile verbotenen künstlichen Intelligenz handelt, die anders als noch Data nicht mehr synthetisch ist, sondern aus Fleisch und Blut. Als die junge Frau in einem erneuten Angriff von Attentätern stirbt, verfolgt Jean-Luc weiter ihre Spur. Am Daystrom Institut wird ihm durch die junge Wissenschaftlerin Agnes Jurati eröffnet, dass die junge Dahj höchstwahrscheinlich eine Zwillingsschwester haben muss.
In der letzten Szene besuchen wir eine Rückgewinnungseinrichtung der Romulaner. Dort sehen wir Soji, die Zwillingsschwester von Dahj, in eine Unterhaltung mit einem Romulaner namens Narek verwickelt. Mit offensichtlich zwielichtigen Motivationen drängt sich Narek auf und wird von Soji eingeladen. An dieser Stelle endet die Episode abrupt, man zeigt uns noch einmal die Rückgewinnungsanlage von außen und der Zuschauer erfährt in einer imposanten Kamerafahrt, dass es sich dabei um einen Borgkubus handelt.
Rezension von Gedenken
Man kann gemischte Gefühle gegenüber diesem Auftakt haben und sollte das vielleicht auch. Obwohl sich der Serienauftakt zur neuen Star Trek Serie wie eine Reminiszenz der Sternstunden von TNG schaut, ist hier und da auch ein wenig Potenzial verschenkt. Als langjähriger Fan und Enthusiast in Sachen Star Trek und besonders in die Serien der 80er und 90er, findet man sich schnell zurecht und nimmt alle losen Fäden der Erzählungen und Anknüpfungspunkte an vergangene Handlungen problemlos auf. Neue Zuschauer scheinen davon verschreckt zu sein, da vom Zuschauer viel Vorwissen abverlangt wird. Sicherlich ist dies dem schwierigen Spagat anzulasten, der hier gebaut werden soll. Auf der einen Seite will man die alten Fans begeistern und auf der anderen Seite neue Zuschauer abholen. Die Neulinge, die ich befragen konnte, bestätigten mir die anfängliche Verwirrung, sagten aber auch, dass sie am Ende der Folge von der Handlung gefesselt waren.
Für Veteranen bietet „Gedenken“ viel Interessantes. Das Spiel zwischen Realität und den wiederkehrenden Träumen des Hauptcharakters führt uns bewusst in die Irre und scheint dem Charakter zu helfen, die richtige Spur zu finden. Das ist eine kreative Idee verkommt aber zeitweise als zu einfaches Motiv, um die Handlung voranzutreiben. Leider wird versäumt, uns die Vorgänge um den Mars, das Verbot der Androiden oder die gescheiterte Evakuierung der Romulaner, gesamtheitlich zu schildern.
Diese leichte Schwäche wird für meinen Geschmack aber von der Charakterzeichnung wiedergutgemacht. Der alte Mann, den man zu Beginn von „Gedenken“ vorfindet, scheint sich selbst vergessen zu haben. Für ihn scheint sein Gestern größer zu sein als das Morgen, er wirkt geschlagen und desillusioniert. Wie sich dies wandelt und er bemerkt, dass er gebraucht wird, zeichnet nicht nur die moralisch fragwürdige Entwicklung der Sternenflotte in dieser Folge nach, sondern sprach mir ganz persönlich aus dem Herzen. Mein Fanherz brauch diesen Mann und „Gedenken“ zeigt mir, wie sehr mein Star Trek genau diesen Jean-Luc Picard braucht.
Rein handwerklich stehe ich der ersten Episode von Picard aber mit stark gemischten Gefühlen gegenüber. Zum einen muss man sagen, dass audiovisuell hier wenig im Argen liegt. Die Musik und das Zusammenspiel mit den gezeigten Szenen ist hervorragend. Der Schnitt und die Farbwahl ist entsprechend der modernen Sehgewohnheiten. Action und große Effekte sind für mich auf ein angenehmes Maß zurückgedrängt und entsprechen dem Alter des Hauptcharakters. Auf Raumschiffkämpfe scheint man bewusst verzichtet zu haben. Die Eröffnungssequenz und der Abschluss geben aber einen Vorgeschmack auf das, was noch vor uns liegt. Sehr gut getroffen hat man für meinen Geschmack die zeitlose Grazie der Enterprise NCC-1701 D der Galaxy-Klasse und in der Schlusssequenz die kalte Bedrohlichkeit des ausgeschlachteten Borg-Kubus. Die Leistung der Schauspieler dagegen ist wieder ambivalent, wie zu Beginn von TNG ist hier eine Kluft zwischen dem alles überstrahlenden Hauptdarsteller und den Nebencharakteren. Hier bleibe ich aber auch nach dreifachem Schauen gutmütig, da sich niemand wirkliche Schnitzer leistet, vielleicht aber noch ein bisschen in seinen Charakter hineinwachsen muss.
Unverständlich stehe ich aber der deutschen Lokalisierung gegenüber. Hier schafft man es nicht mal annähernd an die Originalvertonung heran. In Momenten, in denen die Schauspieler versuchen, über Ausdruck und Mimik Aspekte der Handlung zu transportieren, bleibt die deutsche Synchro dabei erschreckend farblos und gleichförmig. Das ist man nicht gewohnt und ist im Rückblick, auch auf TNG, atypisch für Star Trek. Sollte man dem Englischen mächtig sein, ist der Wechsel zur originalen Vertonung unbedingt zu bevorzugen.
Auch wenn die Lokalisation zum jetzigen Zeitpunkt ein großes Manko bleibt, bin ich sehr überrascht in 2020 eine Star Trek Serie zu sehen, die auf eine so unaufgeregte Art und Weise eine Geschichte erzählt, die sich bewusst langsamer aufbaut, aber nie an Spannung verliert.
Fazit
Die erste Folge schafft es, viel zu erzählen, ob in Dialogen angesprochen oder durch gutes Schauspiel von Patrick Stewart implizit. Sie macht Appetit auf mehr. Ich fühle mich nicht belogen, nicht enttäuscht, bin aber guter Dinge, was auf uns zukommt. Ich kann viele Fans verstehen, die sich etwas anderes oder mehr gewünscht haben. Meiner Meinung nach ist das vielleicht nicht der Picard, den ich mir gewünscht habe. Nach den Irrwegen, die Discovery aber in den ersten beiden Staffeln beschritten hat, scheint es mir aber der Picard zu sein, den Star Trek braucht. Es ist für mich sicherlich kein Quantensprung in neue Gefilde (das lässt sich nach knapp 45 Minuten noch nicht sagen), aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich wünsche mir für die anstehenden Episoden, dass der Captain, der uns hier versprochen wird, auf die Probe gestellt und wieder an seine Grenzen gebracht wird. Für mich hat dieser Mann noch viel zu erzählen. Mir persönlich hat er noch viel beizubringen. Wer glaubt, dass die Reise, die 1987 begonnen hat, schon vorbei ist, der ist spätestens jetzt eines Besseren belehrt.
Ich hoffe, dass die Serie noch Luft nach oben hat und deswegen behalte ich mir in einer Wertung ein wenig Luft nach oben vor. Viel falsch macht die erste Episode nicht und lässt nur auf weniger wichtigen Schauplätzen Schwächen zu. Deswegen gibt es von mir 12 von 15 möglichen Punkten.
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