Seit Generationen ist sie die Erbtochter – Atlan erhält eine erschütternde Nachricht.

Die hermetische Botschaft
© Pabel-Moewig Verlag KG

Titel: Die hermetische Botschaft
Autor: Susan Schwartz
Titelbild: Swen Papenbrock
Erschienen: 29.11.2019

Zur Handlung

Während einer 24-stündigen Gefechtspause, in der der „Atlan-Darsteller“ zum Frieden aller auszuliefern sei, erfährt Atlan sowohl Unterstützung vom Baron und des Militärs als auch in mehreren Erzählungen am 25.03.2046NGZ erst die Lebensgeschichte des Jahrhundertkinds, der mädchenhaften Chariklis, und dann die hermetische Botschaft speziell nur an ihn.
Geboren 1725MGZ auf der abseits liegenden Welt Mirkandhoum wächst Chariklis mit ihrem Vater nach dramatischem Start unter Aufsicht eines Paau und Nashadaan 37 Jahre lang auf. Sie fällt immer wieder in unerklärlichen Langschlaf weit über normale Schlafperioden hinaus, in denen sie träumt, jedoch nicht weiter wächst und altert.

Nach der Rettung durch Arkoniden wird sie als Erbtochter des väterlichen Ma-Anlaan-Khasurn in einem Alkoven in immer länger werdenden Langschlafphasen sicher durch die Jahrhunderte gebracht, um in kurzen Aufwachphasen mehrfach das Geschick ihrer Erbväter durch Voraussagen bzw. selbsterfüllende Prophezeiungen zu lenken. Nur so gelangte sie letztlich überhaupt an Bord des Flaggschiffs des Barons und neuen Mascant Atlan. Diesem enthüllt sie final die hermetische Botschaft: die Cairaner wollen Zugriff auf das Transuniversale Tor, den Atopischen Konduktor innerhalb der Bleisphäre, wozu sie Atlan und sein „Singuläres“ brauchen. Doch wenn Atlan das macht, stirbt er!

Die Drei Ultimaten Beobachtungen

1. Die Vergangenheit der Zukunft

Nach den sechs sehr lesenswerten Kurzromanen und einigen Infobrocken im Laufe des Zyklusu.a. von Bull zum Raptus Terrae wissen wir weiterhin nur sehr wenig und noch bruchstückhafter von den 5 Verlorenen Jahrhunderten während Perrys und Atlans Abwesenheit. Nun erhalten wir – jedoch wieder nur sehr indirekt – einige Blicke in diese vergangene Zukunft: So tobte von 1722 bis 1729NGZ der Erste Orion-Krieg, zu dessen Verlauf und involvierten Kriegsparteien wir jedoch nichts erfahren. 1725NGZ ist das Clausum, das nach dem Raptus Terrae abgeriegelte Solsystem, bereits existent und wird vorzugsweise umschifft.

Die Ladhonen da längst als Piraten, Störenfriede und auch Schlimmeres berüchtigt. 1755NGZ Gründung der Lemurischen Allianz aus Akonen, Terranern und Tefrodern des Tamaniums, ohne die Arkoniden. 1840NGZ hatten Posizid und Datensintflut zugeschlagen und die Informationsfundamente der Galaxis nachhaltig zerrüttet. 2002NGZ in diesem Zusammenhang das erste Mal die Erwähnung arkonidischer Sternenbaronien (Ark’Alor der Familie Quertamagin), zuvor nur allgemein von Arkoniden die Rede. Und im Grunde war es das auch schon … Alles bleibt randständig, detail- und dadurch weitgehend konturlos. Die Jahrhunderte bleiben verloren. Da hatte ich mir wesentlich mehr erhofft.

Und dann meines Erachtens noch ein kapitaler Fehler (vom Exposé oder der Autorin im Eifer des Gefechts): in Kap. 2 (Handlungsjahr 1725NGZ) klar die Cairaner als Volk erwähnt und Abulom Ma-Anlaan ausdrücklich bekannt; Zitat: „Die Cairaner stuften die CHARIKLIS offiziell als politisch unbedeutend ein. Sie nahmen das eifrige Bestreben und die nie nachlassende Hoffnung der Besatzung nicht sonderlich ernst. […] Die Distanz zum Clausum war mit fast fünfhundert Lichtjahren groß genug, um die Cairaner nicht zu einer Inspektion zu veranlassen.“

37 Jahre später nach seiner und Chariklis‘ Rettung (Kap. 6, 1762NGZ) heißt es dann jedoch: „Abulom erfuhr in einem kurzen Abriss, dass nach den Ladhonen ein zweites fremdes Volk in der Milchstraße aufgetaucht war – die Cairaner, die für den Frieden gesorgt hatten.“
Was denn nun? Waren sie schon während Orion-Krieg 1 zugegen und eine bekannte galaktische Macht oder erst im Anschluss als Friedensstifter aufgetaucht? Ein Datenzid bei der Expokratur?

2. ES – Thesanit – VECU?

Dass ES seine Finger wieder im Spiel hat, wie rasender PROC-Reporter Roman Schleifer annimmt, ist für mich nicht ausgemacht. Bzw. sind da noch so viele Hände im Spiel, als führten Cairaner Hinterlistiges in den Außenhänden. Die Höhlenhalle auf Mirkandhoum – 20 m hoch und 2 km durchmessend – könnte sehr gut von ES sein bzw. mit ihm zusammenhängen: nahezu alle Völker seiner Mächtigkeitsballung aus der Lokalen Gruppe mit Statuen vertreten, die in regelmäßigen Zeitabständen einen noch unverstandenen Reigen unerkannten Zusammenspiels aufführen. Und Mirkandhoum selbst unauffällig karg und abseits von allem gelegen und doch genau richtig eingerichtet zum 37 Jahre langen Überleben von Chariklis und Abulom, dieser ohnehin auf der Suche nach der Welt des Ewigen Lebens war. Aber ist ES dann auch der namenlos bleibende „Gebieter“?

Und seit wann steht ES in Kontakt mit Paau und Nashadaan, die unseres Wissens bisher stets zu den aus der 270 Mio. Lichtjahre entfernt stammenden Thesanit gehören? Nur orakelhaft angedeutet, aber der Paau weiß mehr um Auftraggeber und dessen Herkunft als er verriet. Und beide nach der Rettung ihrer Behüteten für Ortung entschwunden – rätselhaft. Und sodann die organoidartige „neuronale Substanz“, die auf völlig unerklärte Weise in Chariklis‘ Gehirn gekommen ist und als dauerhafter Speicher die hermetische Botschaft beherbergt hat. Das erinnert doch frapierend an die Wirkweise des Gehirnfragments, durch das sich bereits die Thesan Zemina Paath hat erinnern können.

Und dann mehrfach insbesondere für ihren Erbvater Aro Ma-Anlaan überlebenswichtige Vorausblicke in resp. Erinnerungen an die Zukunft durch Chariklis, als nutzte sie einen Temporalen Kanal der Thesanit oder wäre ein Futuroskop der Signaten. Und die ebenso mehrfach genutzte Formulierung »Leben wir nicht im Licht der Zukunft, leben wir nicht« könnte ein Futurzwei-Merkspruch sein: Es wird geworden sein; man ist, wer man wird.

Da deuten sich für mich Zusammenhänge und Verbindungen durch Raum und Zeit an, wo eventuell vielleicht per Temporalen Kanal in die Zukunft blickende Thesanit, ohnehin immer schon langzeitplanender ES und angesichts der Gefahr doppelt vorsorgende VECU zusammenarbeiteten. Oder hintertreiben die einen die anderen? Und wer wäre dann aus Sicht der Galaktiker böse und wer gut?

3. Die hermetische Botschaft an den letzten Ritter der Tiefe

Diese Botschaft des Jahrhundertkindes hat es in sich! Endlich wissen oder erahnen wir zumindest zur Hälfte, was die Cairaner wirklich in der Milchstraße suchen. Zur Hälfte, weil sie ja eben auch starkes Interesse an dem von ihnen besetzten Solsystem und Terra/Luna haben, die – mutmaße ich – ihnen aber entzogen wurden. Hängen Terra/Luna und der vor über 500 Jahren installierte Atopische Konduktor, das Transuniversale Tor direkt zusammen? Und wohin soll das Tor sie führen? Erneute Spekulation, dass sie eine Art „Synchronie“ nun nicht in Jenzeitige Lande brückenbauen wollen, sondern ins Abyssale Verlies aus Vektormaterie, wo VECU laut dem Advokaten der Kandidatin gefangengesetzt ist.

Und wer ist, wer sind sie? Sie? Cairaner im konkreten letzten Auftrag von VECU, auf Umwegen und ggf. langzeitgeplant etwa von ES oder auf eigene verzweifelte Initiative hin? Dass es ein regulärer Aufräumauftrag ist, den die Völker der VECUIA bloß bürokratisch akribisch mangels Alternativen ausführen, zweifle ich an. Der kriegerische Zugriff auf Thantur-Lok der Ladhonen im Windschatten kristallimperialer Träume scheint zwar ihrer Vorgehensweise Ephemerer Staatenbildung zu entsprechen; auch könnten die Shenpadri das gefährliche Artefakt Bleisphäre nur zum Besten aller sichern wollen; aber warum das erst jetzt nach Rückkehr namhafter Unsterblicher? Und warum nicht schon lange davor in den Verlorenen Jahrhunderten gleich nach allgemeiner Destabilisierung durch Posizid und Datensintflut, als man höchst wahrscheinlich leichtestes Spiel hatte…?

Und so Atlan als Einziger in die Jenzeitigen Lande mit einem Atopenschiff pilotieren konnte, so ist er nun auch der Einzige, der den Cairanern Zugang zur Bleisphäre verschaffen könne. Damals, weil er „hinter den Materiequellen“ war, nun aufgrund des „Singulären“, seiner Ritteraura. Jeweils also nur dank „kosmokratischer Segnungen“, die ihm noch lange nach seinem aktiven Dienst nachängen. Doch, so die (selbsterfüllende?) Prophezeiung, sterbe er, sollte er dies nun tun. Nicht nur, dass nun einem der fünf sakrosankten Charaktere der Tod droht; vielmehr droht sich die uralte Legende, dass “nach dem Tod des letzten Ritters alle Sterne erlöschen“, zu erfüllen! Es steht also enorm viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Und das scheint Atlan noch gar nicht bewusst, den erst der Extrasinn an die fast vergessene Ritteraura erinnern muss.

Fazit zu „Die hermetische Botschaft“

Zugegeben, ich habe es nicht so mit Lebensgeschichten, die uns in künstlichen Totalerinnerungen videosequenzenhaft durch die Lebenszeiten der Erzählenden führen. Je kosmischer das Setting, je mehr kosmischer sense of wonder, umso tragweitenreicher die Inhalte, desto unpassender finde ich dann die ausgebreiteten subjektiven Befindlichkeiten wie von dir und mir. Und ja, die individuellen Lebewesen sind die Nadelöhre, durch die wir ins Perryversum blicken … So hätte aber meinetwegen Chariklis auch in glücklicher Kleinfamilie mit überlebender Mutter auf Mirkandhoum aufwachsen können oder eben nicht – fürs Weitere hielt ich diesen dramatisierten Start ins Leben unnötig und im Weiteren blieb es unbedeutend für die Handlung.

Auch hat mich überhaupt nicht berührt, dass erst snobistische, blasierte und gelangweilte Thumu da Kotesh freimütig mit dem Leben Aros buchstäblich spielt, um sich dann urplötzlich für das höhere Wohl ihr völlig unbekannter, kosmisch angehauchter Erbtochter gegen die mordenden Ladhonen zu opfern.

Kurzum: Ich bin also nicht halb so vorfreudig und danach angetan wie Kollege Mario zuletzt beim wilden Strubbelkerl aka Sallu Brown aka TARA-Psi. Zum Dank für seine Lebensgeschichte dachte Atlan gar nicht mehr an den TARA-Psi als sinnvolle Verstärkung seines M13-Einsatzteams. Ähnliches fürchte ich nun auch für die Erbtochter Chariklis, die nun sozusagen auserzählt ist. Sie habe alles gesagt und könne auch Überbrachtes nicht weiter interpretieren. Da mögen ihr sicher noch Gedanken durch die „neuronale Substanz“ hochkommen, wie es „dem Gebieter“ passend erscheint; mir wäre das aber zu sehr Deus ex Machina und würde Chariklis zum bloßen Handlungsobjekt bzw. zur informativen Flaschenpost machen.

Als reine Informationshülle wäre deren Lebensgeschichte für mich dann umso unwichtiger. Dass es ein Lebewesen sein musste, gerade angesichts von Posizid und alles in Zweifel ziehender Datensintflut, ist hingegen klar. Trotzdem angemerkt: die von Abulom Ma-Anlaan angelegten positronischen Aufzeichnungen von Chariklis‘ Werdegang seien vom Posizid unangetastet, weil niemals online gewesen. Möglich ist das also hiermit verbrieftermaßen sehr wohl, dass positronisch gespeicherte Daten „unversehrt“ die Verlorenen Jahrhunderte überdauern konnten. Aber wer würde ihnen im Angesicht ungezählt vieler Kontrafakten Glauben schenken?

Kosmische Wunder, Tragödie, Rätsel, Lebensgeschichte in einem Roman und dennoch leicht zu lesen und angesichts all der Andeutungen, Hinweise und vor allem finaler Enthüllung gehaltvoll! Das ist dann am Ende zwar nicht gleich – wie von der Autorin erhofft – geil,
jedoch alles nur nicht schlecht. Und daher bin ich nicht gar so begeistert wie in beiden vorigen Wochen, aber kann über „Die hermetische Botschaft“ trotzdem noch lange grübeln und spekulieren – und das macht dann definitiv einen guten Perry aus.

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Dominic Schnettler
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