Auf der Erde gestrandet, muss ein außerirdischer Androide in die Entwicklung der Menschheit eingreifen, um wieder nach Hause zu kommen.
Das Szenario
Vor rund 9.000 Jahren stürzt ein Raumschiff mit einer Besatzung aus Androiden, welche einst von den S’rk erbaut worden sind, auf der Erde ab. Nur ein Android übersteht den Absturz. Ihm bleiben etwa 9020 Erdenjahre, um von dem Planeten zu entkommen, bevor seine Energiezellen verbraucht sind. Dummerweise können ihm die einheimischen Menschen nicht helfen, da sie sich noch in der Steinzeit befinden.
Zunächst beobachtet der Android die Menschen aus der Ferne und entschließt sich, ein Exemplar zu sezieren. Ein Höhlenbär kommt ihm jedoch dazwischen, sodass die Einheimischen ihn bemerken. Ein kleines Mädchen nennt ihn „Enkidu“, was übersetzt „Freund“ bedeutet. Das ändert seine Pläne, und er hilft den Menschen fortan bei ihrer Entwicklung, in der Hoffnung, dass sie einst ein technologisches Niveau erreichen, welches es ihm erlaubt, die Erde zu verlassen.
Nach 5.000 Jahren gibt es in Uruk die erste sesshafte Zivilisation, und Enkidu hilft dem dortigen König Gilgamesch, dessen Reich zu vergrößern, um die Entwicklung zu beschleunigen. Doch nach Jahrzehnten bemerkt Gilgamesch, dass Enkidu nicht altert. Er verliert das Vertrauen in seinen Freund, der ihm das vermeintliche Geheimnis seiner scheinbaren Unsterblichkeit nicht offenbaren will. Enkidu muss fliehen und über die nächsten Jahrtausende mit ansehen, wie ein Reich nach dem anderen entsteht und wieder zerfällt.
Seine Begegnung mit dem Stammvater Abraham führt ihn zu der Entscheidung, den Monotheismus zu forcieren. Eine Fehlentscheidung, wie sich schnell herausstellt. Der religiöse Fanatismus zerstört erst die Hoffnungen, die der Androide in Rom gesetzt hat, um nach dem Niedergang des Reiches die Welt ins finstere Mittelalter zu stürzen.
Erst Ende des 15. Jahrhunderts trifft Enchido, wie er sich mittlerweile nennt, in Florenz auf Leonardo da Vinci. Zusammen mit ihm und anderen Gelehrten will er neue Pläne entwickeln, die Menschheit voranzubringen. Doch noch brennen die Scheiterhaufen und Enchido muss erneut fliehen. Da Vinci trifft er nach Jahrzehnten an dessen Sterbebett wieder, wo sich erstmals menschliche Emotionen in dem Androiden regen, sodass er sich ebenfalls zum ersten Mal einem Menschen offenbart.
Jahrhunderte später gerät er an die deutschen Faschisten, deren rasanter technischer Fortschritt ihm Hoffnung macht, die Erde noch vor Ablauf seiner Energiereserven verlassen zu können. Als er jedoch das menschliche Leid in einem Konzentrationslager sieht, fällt er eine emotionale Entscheidung und bricht sein Hilfsprogramm für die Nazis ab. Im Jahr 2040 sind seine Energiezellen fast verbraucht und Enkidu hat sich mit seinem Schicksal abgefunden. Die Menschheit sieht er auf einem guten Weg, auch wenn er ihren Aufbruch zu fernen Planeten außerhalb des Sonnensystems nicht mehr miterleben wird.
Der Jahrtausende alte Android hat sich auf ein einsames Atoll zurückgezogen, um über sein Werk nachzudenken. Doch sein Lebensabend wird jäh unterbrochen, als er in den Nachrichten davon erfährt, dass eine alles beherrschende KI auf das Internet losgelassen werden soll. Ein ebensolches Ereignis führte einst zur kompletten Auslöschung der S’rk und da Enkidu so etwas wie der Urvater der Menschheit ist, möchte er dieser ein ähnliches Schicksal ersparen.
Einer seiner Wachleute war einst bei der amerikanischen Delta Force, weshalb er diesen bittet, ihn nach Washington D.C. zu bringen. Dort kann er sich in die Sicherheitssysteme hacken und so an allen Wachandroiden vorbei schleichen. Allerdings wird der Eindringling von menschlichen Wachen erwischt und zusammengeschossen. Mit letzter Kraft wendet sich Enkidu an die US-Präsidentin.
Rezension von Der Hirte
Der neunte Band der Androiden-Reihe ähnelt Band Nummer 5. Nur waren es in Synn irdische Androiden, die in der Steinzeit eines anderen Planeten gestrandet sind, während Der Hirte ein außerirdischer Android ist, der auf der steinzeitlichen Erde abstürzt. Wie Synn und Krit entwickelt auch Enkidu mit der Zeit menschliche Gefühle, doch seine Mission ist eine andere. Er will zurück zu seinesgleichen und greift dafür in die Entwicklung der Menschheit ein.
Der Ansatz, wie hier die Prä-Astronautik bedient wird, ist einerseits erfrischend neu und schon bei der Namensgebung „Enkidu“ für den Androiden fällt einem sofort der Gilgamesch-Epos ein. Dieser bildet allerdings nur ein Kapitel, während Enkidu, der seinen Namen über die Jahrtausende abwandelt, für so ziemlich alles im Alleingang verantwortlich gemacht wird. Was die Prä-Astronautik noch so an „fliegenden Schilden“ und „Vimanas“ hergibt, wird dagegen völlig ignoriert. Gleiches gilt für die Rückdatierung der ersten Hochkulturen durch die Entdeckung antiker Stätten wie Göbekli Tepe auf mindestens 12.000 Jahre. Ebenfalls ausgelassen werden die Legenden über langlebige Figuren wie Methusalem, für die der Android eigentlich eine gute Erklärung wäre. Um seine Lebensdauer zu verlängern, hätte er zudem nach Energiequellen forschen können, wobei sich antike Artefakte wie die Bagdad-Batterie angeboten hätten. Aber nicht einmal in der Moderne schafft er es, seine Energiereserven aufzuladen.
Immerhin gibt sich der Autor wenigstens Mühe, Enkidus Wirken dezent in die Menschheitsgeschichte einzuweben, sodass der Eindruck entsteht, es könnte wirklich so stattgefunden haben. Das glückt allerdings nur bis zum 20. Jahrhundert, denn was der sich nunmehr „Nkhidu Rimpoche“ Nennende im 3. Reich veranstaltet, ist historisch völliger Blödsinn. Er gibt Hitler und Himmler nicht nur eine Atombombe, sondern auch Neuro-Granaten, die das menschliche Nervensystem zerstören. Sinnvoller wäre es gewesen, wenn er sich stattdessen an Wernher von Braun gewandt hätte, um dessen Raketenprogramm zu unterstützen, was seinem Ziel, der Erde zu entkommen, dienlicher gewesen wäre.
Stattdessen erzählt der Android den Okkultisten vom Ahnenerbe Märchen von der Hohlerde und behauptet, ein Abgesandter von Argatha zu sein. Solche kruden Verschwörungstheorien erfreuen sich zwar bis heute großer Beliebtheit unter einigen Nazis, allerdings hätte Nkhidu damit wohl kaum Hitler und die Mehrheit der Naziwissenschaftler überzeugen können, die mitnichten alle leichtgläubige Spinner waren. Lediglich Himmler und ein paar seiner Getreuen waren Esoteriker, die ihm den Mist vielleicht abgekauft hätten. Hier wäre eine bodenständigere Herangehensweise wünschenswert gewesen.
Immerhin entwickelt der Android eine Abscheu gegenüber den Grausamkeiten der Nazis. Warum er dann aber nicht mit von Braun nach Amerika oder in die Sowjetunion gegangen ist, um deren Raumfahrtprogramme voranzutreiben, erschließt sich ebenfalls nicht. Er erwähnt lediglich rückblickend, dass er mit geistigen Größen wie Einstein und Hawking korrespondiert hat. Klar muss die Handlung etwas eingedampft werden, dennoch wäre es besser gewesen, aus der Story einen Zweiteiler zu machen und wenigstens auf die industrielle Revolution und das Computerzeitalter einzugehen.
Stattdessen werden gewaltige zeitliche Sprünge gemacht und der letzte führt direkt in die Zukunft des Jahres 2040. In dieser hat sich Enkidu mit seinem Schicksal abgefunden. Zusätzlich zu seinen aufkeimenden Emotionen lassen ihn seine schwindenden Energiereserven dabei fast schon menschlich altern. Sein Hör- und Sehvermögen lassen nach, er wird zunehmend gebrechlich und braucht sogar einen Gehstock. Das ist eine interessante Entwicklung.
Am Ende betrachtet er die Menschen fast schon als seine Kinder, und als diese sich durch eine Super-KI selbst bedrohen, schreitet er ein. Immerhin haben sich schon seine Schöpfer mit einer alles kontrollierenden KI selbst ausgelöscht. Aber stand er dann nicht eigentlich im Dienste der S’rk-KI? Warum bewertet er deren Vorgehen gegen die S’rk dann negativ? Seine ablehnende Haltung gegenüber der irdischen KI-Bedrohung ist da schon nachvollziehbarer, da er inzwischen mit den Menschen fühlt. Nur warum hackt er sich dann nicht direkt ins Internet, um die KI zu stoppen? Warum sucht er das Gespräch mit der US-Präsidentin?
Noch unlogischer ist sein heimliches Eindringen ins Weiße Haus, bei dem er nicht die menschlichen Wachen bedenkt. Hat er über die Jahrtausende auch geistig abgebaut? Seine früheren Fehler, wie das Forcieren des Monotheismus, hatten immer zum Ziel, die menschliche Entwicklung voranzutreiben. Die Ergebnisse waren dabei unvorhersehbar. Seine Konfrontation im Weißen Haus war dagegen mehr als vorhersehbar und seines logischen Verstandes unwürdig. Ob Enkidu es dann noch geschafft hat, die Präsidentin über seine Herkunft sowie seine Rolle bei der Entwicklung der Menschheit zu informieren und vor der KI zu warnen, bleibt derweil offen. Das mag ein geschickter Schachzug sein, denn es wäre sowohl ein tragischer Ausgang als auch ein Happy End möglich.
Einblicke in die Vergangenheit
Der Zeichenstil ist wirklich großartig und lässt die längst vergangenen Epochen wieder aufleben. Die Stadt Uruk mit den Zikkurats ist ebenso eindrucksvoll wie das antike Rom. Im Archiv, das Tullius Nequidus, wie er sich zu dieser Zeit nennt, in einem Tempel eingerichtet hat, gibt es viel zu entdecken. Unter anderem Archimedes’ Mechanismus von Antikythera. Das Atelier von Leonardo da Vinci gleicht ebenfalls einem Suchbild. Dem Auge wird hier wirklich viel geboten, sodass es länger verweilt. Obendrein hat der Zeichner interessante Perspektiven gewählt.
Gleiches gilt für die Posen der Charaktere, deren Kleidung einen perfekten Faltenwurf aufweist. Die Entwicklung von Enkidu ist besonders hervorzuheben, der mal als Schamane, mal in römischer Rüstung oder edlem Gewand auftritt. Anfangs pilgert er noch unverhüllt durch die Lande, doch mit zunehmendem Argwohn der Menschheit muss er sein Gesicht hinter einer Maske verbergen. Deren Einsatz rechtfertigt er mit angeblichen Narben, die zu schrecklich seien, um sie zu zeigen. Passend zum Voranschreiten der Epochen entwickeln sich die Masken von einfachen Holzschnitzereien zu einem reich verzierten Modell der Renaissance.
Gelungen sind weiterhin die Gesichtsausdrücke und die Physiologie sowohl der Menschen als auch die von Enkidu. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Hände gelegt, die sehr detailliert herausgearbeitet sind. Leider wirkt die Stellung der Finger auf einigen Bildern etwas verkrampft. Ein weiterer Minuspunkt sind die Darstellungen von Hitler und Himmler, die nicht wirklich gut getroffen sind. Bei allen anderen historischen Persönlichkeiten hatte der Zeichner weitgehend freie Hand, da es in der Antike keine Fotos gab, aber zumindest sehen die Figuren realistisch aus. Nur bei den Nazis hatte der Zeichner kein glückliches Händchen. Und als Enkidu zwei Macheten zückt, um selbige in Stücke zu hacken, erinnert er optisch ein wenig zu sehr an Deadpool.
Abgesehen von einer Handvoll kleinerer Kritikpunkte, zu denen auch etwas zu kritzeliges Laub an den Bäumen auf den ersten Seiten zählt, hält der Zeichenstil allerdings ein hohes Niveau, und gleiches lässt sich von der Kolorierung sagen. Die Farben sind zwar nicht immer fotorealistisch, die Farbfilter, bei denen Sepiatöne dominieren, erzeugen jedoch eine historische Atmosphäre, die absolut überzeugt. Die Verläufe sind weich, wobei Glanzeffekte sparsam eingesetzt werden. Alles in allem wird die Farbgebung der anvisierten Stimmung gerecht.
Fazit: Was wäre wenn …
Die Handlung deutet die Geschichtsschreibung einerseits auf kreative Weise um, andererseits schlägt der Comic dabei zuweilen über die Stränge. Insbesondere die Umdeutung der Nazizeit kann dabei nicht überzeugen, wobei die jüngere Geschichte insgesamt zu kurz kommt. Hier hätte es deutlich glaubwürdigere Alternativen gegeben, Enkidu seinem Ziel, die Erde zu verlassen, näherzubringen. Die grafische Umsetzung ist derweil hervorragend, wenn man einmal von dem verpfuschten Hitler absieht. Bei einigen Abstrichen ist der Comic als Ganzes betrachtet immer noch ein Highlight der Androiden-Reihe.
Info
Autor: Antoine Tracqui
Zeichnungen & Farben: Sylvain Ferret
Verlag: Splitter
Sonstige Informationen: Produktseite
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Warpskala
Warpskala-
Story7/10
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Zeichenstil9/10
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Kolorierung10/10
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