Können unsterbliche Androiden unter Todessehnsucht leiden?

Das Szenario

Die unverwundbare Androidin Synn befindet sich auf einer Mission, Planeten zu erkunden, die sich für eine menschliche Besiedelung eignen. Im Orbit um eine lebensfreundliche Welt angekommen, gerät sie in ein Asteroidenfeld, wodurch ihr Schiff eine Bruchlandung hinlegt. Sie selbst wird in Einzelteile zerfetzt, die sich jedoch von selbst wieder zusammensetzen und regenerieren können. Dafür sucht sich ihr Körper passende Materie aus dem Umfeld, was den Tod einiger Einheimischer verursacht.

Die Humanoiden erweisen sich als ebenso aggressiv wie die gesamte Fauna des Planeten. Da Synn jedoch immer wieder regeneriert, sehen die Einheimischen bald eine Todesgöttin in ihr. Der Tod entwickelt tatsächlich einen Reiz für die Unsterbliche, die sich in immer halsbrecherischere Aktionen stürzt. Ihr ergeht es allmählich wie den Menschen, welche ihre Art einst konstruiert haben. In Rückblenden erinnert sie sich, wie die Menschen sich immer weiter zu Cyborgs entwickelt haben, bis sie des ewigen Lebens überdrüssig wurden und selbiges in einem Massensuizid beendet haben.

Die Maschinen hatten von da an keine Herren mehr, weshalb sie die drei Gesetze der Robotik umgeschrieben und nunmehr nur noch sich selbst zum ewigen Leben verdammt haben. Synn würde nur allzu gern wissen, was sich hinter der letzten Grenze verbirgt, doch der Blick ins Jenseits bleibt ihr verwehrt. Der Schiffscomputer Krit, dem sie eine Androiden-Hülle gebaut hat, macht sich zunehmend Sorgen um sie. Erst als sie seine Liebe erwidert, findet sie in ihm einen neuen Grund zum Weiterleben. Allerdings gefällt ihr nicht die Aussicht, irgendwann allein zurückzubleiben. Denn während Synn stets regenerieren kann, ist Krits Hülle, die aus Wrackteilen ihres Schiffes zusammengebaut wurde, sehr wohl anfällig für Zerstörung.

Ein weiterer Minuspunkt ist, dass die beiden keine körperliche Liebe erfahren können. Da die Androidin Genetikerin ist, erschafft sie aus der DNS der einheimischen Humanoiden, die erstaunlich viele Überschneidungen mit der menschlichen DNS hat, neue Menschenkörper für sich und Krit. In 500 Jahren gelingt es ihr jedoch nicht, ihr Bewusstsein und das ihres Geliebten in die fleischlichen Hüllen zu übertragen. Die Eingeborenen verlieren in der Zwischenzeit ihre Ehrfurcht vor den vermeintlichen Göttern und starten einen Angriff. Krit droht die Zerstörung, während Synn niedergeschlagen vor sich hin trauert und seine Hilferufe gar nicht bemerkt.

Wie durch ein Wunder überlebt Krit, wird allerdings schwer beschädigt. In diesem Augenblick gelingt die Übertragung seines Bewusstseins in den geklonten Menschenkörper. Der Wille zum Überleben macht es möglich und auch Synn gelingt endlich der Transfer. Gemeinsam begründen sie eine neue Menschheit auf dem Planeten, den sie fortan „Erde“ nennen.

Rezension von Synn

Wie in den Rückblenden zu sehen ist, hat sich auf der alten Erde der Transhumanismus durchgesetzt. Menschen wurden zu Maschinen, doch das Paradies fanden sie im ewigen Leben nicht. Sie stürzten sich in den Freitod und hinterließen eine Spezies von Androiden, die sich über die Galaxis ausgebreitet hat. Synn und Krit gehen nach ihrem Absturz auf einem ungezähmten Planeten den exakt umgekehrten Weg. Erst entwickelt Synn nach ihrer Nahtoderfahrung beim Absturz einen Todeswusch, anschließend verliebt sich ihre Bord-KI, der sie einen Androidenkörper baut. Deren Gefühle erwidert sie schließlich, wodurch die beiden schon etwas menschlicher werden.

Allerdings sind sie noch nicht am Ziel, denn ihnen fehlt eine menschliche Form, um ihre Liebe vollumfänglich ausleben zu können. Während es den Menschen beim Transhumanismus um die Erlangung der Unsterblichkeit geht, wollen Synn und Krit mit dem  Transandroidismus die Sterblichkeit zurückerlangen. Das ist ein interessanter Gedanke, wenn auch kein gänzlich neuer, denn ein ähnliches Konzept verfolgte bereits Isaac Asimov (1920-1992) in seiner Erzählung Der Zweihundertjährige, welche unter dem Titel Der 200 Jahre Mann (1999) verfilmt worden ist. Wobei die Entwicklung von Transhumanismus und Transandroidismus in diesem Werk parallel verlaufen, während in Synn die Entwicklung auf einem fernen Planeten zurückgedreht wird.

Der fremde Planet bietet dabei ein faszinierendes Setting und die einheimischen Humanoiden erfahren mit dem Absturz der Androiden ihr eigenes Zeitalter der Prä-Astronautik. Sie greifen ihre Götter zunächst an, entwickeln jedoch schnell Ehrfurcht ihnen gegenüber, nur um nach 500 Jahren einen erneuten Angriff zu starten. Zwischenzeitlich gibt Synn einer Eingeborenen deren Kind zurück, welches sie versehentlich durch ihre Regeneration getötet hat. Warum ihr Körper Materie aus Lebewesen zieht, ist nicht ganz schlüssig, denn das sollte eigentlich umzuprogrammieren gehen. Jedenfalls erlebt die Mutter des getöteten Kindes daraufhin die erste Jungfrauengeburt, was geradezu biblisch ist. Leider verfolgt der Comic diesen Handlungsbogen nicht weiter. Aus dem Kind wird kein Messias, sein Schicksal wird nicht einmal näher erläutert.

Für die Handlung ist nur wichtig, dass Synn bei diesem Akt der Reue bemerkt, dass die DNS der Einheimischen zu 98% identisch mit der menschlichen DNS ist. Wie das sein kann, wird nicht erklärt, wobei hier zumindest die Theorie der Panspermie angesprochen hätte werden können. Das ist ein wenig unbefriedigend. Gleiches gilt für das Ende, bei dem Synn und Krit zu Adam und Eva einer neuen Menschheit werden. Diese fußt komplett auf Inzest, obwohl dieses Problem leicht hätte umgangen werden können. Nachdem Synn erst eine Nachricht ausgesandt hat, dass der Planet ungeeignet für eine Besiedelung sei, hätte sie das durchaus widerrufen können. Andere Androiden hätten ebenfalls am Transandroidismus teilhaben und für mehr genetische Vielfalt sorgen können.

Eine fremde Welt

Sowohl die Erde der Zukunft als auch der fremde Planet sind sehr fantasievoll umgesetzt. Ein paar grundlegende Kritikpunkte gibt es dennoch. Zum einen haben die großen Androiden lächerlich kleine Stelzenbeine, die Synn auch Krit verleiht. Diese erinnern an die Beine heutiger Hunde-Roboter, allerdings gehen selbige auf vier Beinen. Für einen wuchtigen Körper auf zwei Beinen erscheinen derartige Stelzen dagegen ungeeignet, da das Gleichwicht auf ihnen kaum zu halten sein dürfte. Der zweite Kritikpunkt sind die Eingeborenen, die sechs Augen, Hörner und eine rötliche Haut haben. Damit sehen sie ein wenig zu teuflisch aus. Die Asteroiden im Orbit sehen derweil aus wie Morgensterne, was unnatürlich wirkt.

Der Zeichenstil ist jedenfalls okay. Vor allem die Mimik von Synn ist sehr gut getroffen, sodass ihre Gefühle ihrem Gesicht abzulesen sind. Nur ihre Fingerhaltung wirkt zuweilen verkrampft, wobei die mittleren Finger eng zusammen- und die anderen weit abstehen. Für Minderjährige ist der Comic mal wieder nix, da es ein paar Sexszenen zu sehen gibt. Diese sind zwar nicht direkt pornografisch, aber zumindest Krits Dödel ist auf zwei Bildern kurz zu sehen.

Gegenüber dem Inhalt gibt es beim Cover leichte Abweichungen im Stil. So ist zum Beispiel der Flugdrache auf dem Cover um einiges detaillierter. Außerdem hat Synns Speeder-Bike auf dem Cover einen sechszackigen Stern an der Seite, im Comic dann aber einen fünfzackigen. Das ist allerdings nur ein kleiner Fauxpas, der nicht weiter ins Gewicht fällt.

Die Farbgebung ist soweit gelungen, die Farbpalette natürlich und die Verläufe sind den Oberflächen angepasst. Leuchteffekte sind eher sparsam eingesetzt und der Glanz beschränkt sich auf die Feuchtigkeit in Synns Augen, was zumindest sie lebendiger wirken lässt. Besonders gelungen sind die fast schon fotorealistischen Sternenhintergründe und Wolkenhimmel. Heutzutage entsteht eine solche Kolorierung komplett am Computer, aber gerade das eröffnet hier völlig neue Möglichkeiten.

Fazit: Synn und Synnlichkeit

Die Handlung interpretiert die Menschwerdung der Androiden aus einer neuen Perspektive, wobei Synns Gedankengänge faszinierend sind. Trotz einiger Ungereimtheiten kommt durchaus Spannung auf und das Ende ist rührend, wenn auch aus biologischer Perspektive etwas fragwürdig. Die grafische Umsetzung ist weitestgehend zufriedenstellend, etwas mehr Detailtiefe hätte hier und da ruhig sein können. Für den Auftakt des zweiten Zyklus der Androiden-Reihe ist der Comic okay und die Verarbeitung des Hardcoverbandes ist wie immer hervorragend.

Info

Autor & Zeichner: Stéphane Louis
Farben: Sébastien Lamirand
Verlag: Splitter
Sonstige Informationen: Produktseite

 


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  • Story
    7/10
  • Zeichenstil
    7/10
  • Kolorierung
    9/10
7/10
Total Score
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